Micaela Latini - Robert Jungk Stipendiatin 2018

Die Stadt Salzburg vergibt jährlich in Kooperation mit der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen ein Robert-Jungk-Stipendium für zwei Monate.

Stipendiatin 2018 war Micaela Latini.
Die Arbeitszeit in Salzburg im November und Dezember 2018 nutzte die Literaturwissenschafterin zur Recherche über das Thema "Zum Verhältnis von Robert Jungk, Günther Anders und Ernst Bloch". Sie recherchiert dazu u.a. über den Nachlass von Robert Jungk im Salzburger Literaturarchiv. Die Ergebnisse ihrer Recherchen werden in einem JBZ-Arbeitspapier publiziert.

Micaela Latini lehrt Neuere deutsche Literatur an der „Universität Cassino e Lazio meridionale“. Sie hat zahlreiche Beiträge zu G. Anders, Th.W. Adorno, I. Bachmann, W. Benjamin, Th. Bernhard, E. Bloch, G. Büchner, M. Haneke, Fr. Kafka, J.M.R. Lenz, R. Musil, L. Tieck, L. Wittgenstein veröffentlicht. Sie hat folgende Werke geschrieben: Il possibile e il marginale. Studio su Ernst Bloch (Mimesis, Mailand 2006); La pagina bianca. Thomas Bernhard e il paradosso della scrittura (Mimesis, Mailand-Udine 2011); Il museo degli errori. Thomas Bernhard e gli Antichi Maestri (Albo Versorio, Mailand 2012).

Porträt Micheala Latini

Philosophische Spurensuche in Salzburg

Micaela Latini ist die erste Literaturwissenschaftlerin und die erste Italienerin, die je das Robert-Jungk-Stipendium erhalten hat. Zwei Monate verbrachte sie in Salzburg und begab sich auf eine besondere Spurensuche. Anfang Jänner präsentierte sie die Ergebnisse ihres Forschungsaufenthalts in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen.
Micaela Latini interessiert sich für eine besondere Dreiecksbeziehung. Sie stellt in ihrer Arbeit Robert Jungk, Günther Anders und Ernst Bloch gegenüber und vergleicht ihre Arbeiten, Werke und Denkweisen.
Im November und Dezember war sie dazu in der Wissensstadt Salzburg. Die Stadt kennt sie bereits. Sie war hier schon auf Urlaub und im Rahmen eines Erasmus Plus Austauschprogramms Gast-Dozentin am Fachbereich Germanistik an der Uni Salzburg. „Ich mag Salzburg, es ist klein und übersichtlich und nicht so chaotisch wie die italienischen Großstädte“, erzählt Latini schmunzelnd.

Von der Literatur zur Philosophie

Als Literaturwissenschaftlerin hat Micaela Latini u.a. ein Buch über Thomas Bernhard verfasst, das auch auf Deutsch erschienen ist („Die Korrektur des Lebens“). In ihrer Arbeit mit deutschsprachiger Literatur kamen die Philosophen Jungk, Anders oder Bloch zu kurz.
Seit ein paar Monaten ist die Professorin für Deutsche Kultur auch am Fachbereich Ästhetik an der Universität Insubria in Como/Varese tätig. Nun hat sie die Gelegenheit sich mehr den deutschen und österreichischen Philosophen zu widmen, ohne dabei die literarischen Themen zu verlassen.
Ihre Forschungsarbeit trägt den Titel „Die Antiquiertheit der Zukunft. Robert Jungk und Günther Anders“. Ausgehend von einer Studie über den deutschen Autor Günther Stern Anders will Latini ihre Recherchen in Salzburg vertiefen und die interdisziplinäre Perspektive und die Verflechtung von Philosophie, Literatur und Politik herausarbeiten. Dazu vergleicht sie Robert Jungk, Günther Anders und Ernst Bloch. „Zwischen Jungk und Anders gibt es ein dichtes Netzwerk an Kontakten und viele Querverweise. Es ist spannend hier Nachforschungen anzustellen“, berichtet Latini über ihre Arbeit.

Vernetzung Jungk, Anders, Bloch

Besonders interessant ist die Frage, ob sich die drei Philosophen gekannt, getroffen und ausgetauscht haben. „Theoretisch wäre das möglich, sie haben auch alle zur gleichen Zeit im deutschsprachigen Raum gelebt“, so Latini, die in Salzburg nach Hinweisen auf Treffen sucht. Zwischen Anders und Jungk besteht zweifelsohne eine Verbindung, die auch widersprüchlich gewesen ist.
Der Kontakt zwischen Anders und Jungk ist besonders durch den „Fall Eatherly“ bekannt. Claude Eatherly war Pilot bei der amerikanischen Luftwaffe und gab 1945 das entscheidende Kommando für den Abwurf der Bombe über Hiroshima. Als Meteorologe meldete er günstige Wetterverhältnisse. Doch bald danach plagten ihn Gewissensbisse, Schuldgefühle und Alpträume. Um sich selbst zu bestrafen, beging er etliche Überfälle und Einbrüche. Im Juni 1959 schrieb Günther Anders an Eatherly, daraus entstand ein Briefwechsel, der 1962 als Buch veröffentlicht wurde. Das Buch wurde ein viel gelesenes Werk der Anti-Atomwaffen-Bewegung und in viele Sprachen übersetzt. Das Schicksal von Eatherly ließ auch Robert Jungk nicht kalt, sodass er das Vorwort für die deutsche Fassung verfasste.
Informationen über einen persönlichen Kontakt zwischen Robert Jungk und Ernst Bloch konnte Micaela Latini bei ihren Nachforschungen nicht finden, obwohl Jungks „Projekt Zukunft“ Blochs Utopie/Hoffnung explizit heraufbeschwört.

Drei Fragen an Micaela Latini

Woher kommt das Interesse am österreichischen Zukunftsforscher Jungk?
Robert Jungk ist in Italien fast unbekannt. Nur wenige Bücher wurden auf Italienisch übersetzt und sind heute noch erhältlich. Erst durch die Auseinandersetzung mit Günther Anders bin ich auf Robert Jungk gestoßen und neugierig geworden.

Woran haben Sie in Salzburg gearbeitet?
Ich habe im Literaturarchiv, in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen sowie auch einige Tage im Literaturarchiv in Wien über die Verbindungen zwischen Robert Jungk, Günther Anders und Ernst Bloch recherchiert. Im Literaturarchiv Salzburg hatte ich die Möglichkeit in den originalen Manuskripten und Notizen von Jungk zu blättern.
Meine Recherchen fließen in ein neues Kapitel meines Buches über Günther Anders, das im Juni in einer neueren Fassung erscheinen wird. Außerdem habe ich jetzt neuen Input für meine Vorlesungen an der Universität.

Wie würden Sie das Verhältnis Günther Anders, Robert Jungk (und Ernst Bloch) in kurzen Worten zusammenfassen?
Mit Günther Anders teilt Robert Jungk die Kritik an der Zerstörungskraft des Atomzeitalters, sowie auch das Interesse am Fall „Claude Eatherly“, der exemplarisch für die Schuldfrage im Atomzeitalter steht. Ernst Bloch und Robert Jungk sind durch die Anerkennung der Wichtigkeit der Rolle des „Prinzips Hoffnung“ und der konkreten Utopie verbunden.
Während Anders und Bloch als philosophische Theoretiker gelten, war Jungk immer Aktivist, Chronist und Zukunftsdenker, der die Umsetzung realer Utopien ganz praktisch einforderte.
Im Unterschied zu Anders, erkennt Jungk immer wieder die Verjüngung der Menschen. Das macht er mit dem Zitat „Die Zukunft beginnt mit jedem Tag und jedem Menschen wieder neu“ deutlich.
Die detaillierten Rechercheergebnisse von Micaela Latini können in einem JBZ-Arbeitspapier nachgelesen werden.

Das Interview führte Eva Kraxberger.

Zur Person

Micaela Latini ist seit März 2018 Professorin an der Università degli Studi dell'Insubria in Como/Varese. Zuvor war sie an der Università degli studi di Cassino e del Lazio Meridionale tätig. Seit 25 Jahren lernt sie schon Deutsch. „Es ist eine schöne Sprache, aber auch sehr schwer“, so die gebürtige Römerin. Sie hat eine Liebe für alles Deutschsprachige, besonders die österreichische Literatur gefällt ihr. Diese Begeisterung möchte sie ihren Studierenden weitergeben. Nach Salzburg reist sie weiter nach Weimar, um dort über Johann Gottfried Herder zu recherchieren. Erst Ende Jänner kehrt sie zum Semesterstart wieder nach Italien zurück.