Die Kinder der Überlebenden

Auch wenn die jüdischen DPs eine hohe Geburtenrate aufwiesen, ging der Salzburger jüdischen Gemeinde – aber auch vielen kleinen deutschen und anderen österreichischen jüdischen Gemeinden – ein Teil der zweiten Generation vielfach verloren. Dies hängt nicht nur mit Antisemitismus, sondern auch mit weiteren Faktoren zusammen: Die Eltern plagten häufig Schuldgefühle darüber, im Land der Täter geblieben zu sein, einige sprachen vom Leben auf „gepackten Koffern“ und vermittelten ihren Kindern, dass zumindest sie Österreich verlassen sollten. Manche schickten die Kinder in religiöse Schulen nach Israel. Andere verließen Salzburg für ein Studium und kehrten nicht mehr zurück. Die Nachkommen der in Salzburg sesshaft gewordenen DPs leben von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen heute in der Schweiz, in Israel, in Antwerpen oder in Wien.

Die Kleinheit der Gemeinde erschwerte auch die Suche nach einem jüdischen Ehepartner/einer jüdischen Ehepartnerin. Aufgrund der Verfolgung war das Vertrauen in die nicht-jüdische Umwelt zerrüttet und die Elterngeneration lehnte aus verständlichen Gründen eine Ehe mit nicht-Juden ab. Sie wünschten sich, dass die Kinder die jüdische Tradition fortsetzen würden. Auch – oder gerade weil – Kindern von Überlebenden eine besondere Rolle zukam, war das Aufwachsen mit Eltern, die dem Holocaust überlebt hatten, nicht einfach. Viele konnten mit den Kindern über ihre Verfolgung und den damit verbundenen Demütigungen nicht sprechen, auch weil sie diese nicht belasten wollten. Kinder hatten oft Angst zu fragen, auch um die Eltern zu schützen. Nur wenige hatten Großeltern oder andere Verwandte. Der Holocaust war somit in diesen Familien sehr präsent.

Die Gründergeneration blieb abgesehen von beruflichen Kontakten weitgehend unter sich. Die in Salzburg aufgewachsenen jüdische Kinder kamen vor allem durch den Schulbesuch mit der Welt außerhalb der eigenen Community in engeren Kontakt. Im Unterschied zu den Eltern, beherrschten sie die deutsche Sprache in all ihren Nuancen perfekt. Leben in zwei Welten hieß für manche, am Samstag vom Schulbesuch befreit zu sein und die Synagoge zu besuchen. MitschülerInnen brachten ihnen die Mitschriften und das Versäumte wurde am Sonntag nachgelernt. Manche Eltern engagierten auch einen eigenen Religionslehrer. Offiziellen Religionsunterricht gab es an Salzburger Schulen seit 1957. Wie es ein Vater mit polnischen Wurzeln ausdrückte, war Wissen um seine Religion und Kultur das Wenige, das ihm die Nationalsozialisten nicht nehmen konnten. Und das wollte er seinen beiden Söhnen weitergeben. Er war aber auch sehr stolz darauf, dass es die „Kinder des Juden aus Polen“ zu etwas gebracht haben. Beide verließen nach der Matura Salzburg. Einer studierte Medizin in der Schweiz, wo er mittlerweile seit vielen Jahren als Arzt tätig ist, der andere studierte Ökonomie in London.

Literaturempfehlung
  • Ruth Beckermann, Unzugehörig. Österreich und Juden nach 1945, Wien 2005.
  • Eva Hoffmann, After Such Knowledge. Memory, History and the Legacy of the Holocaust, New York 2004.
  • Deborah E. Lipstadt / Eva Fogelman, Children of Jewish Survivors, in: Fred Skolnik, Michael Berenbaum (Hg.), Encyclopaedia Judaica, Zweite Ausgabe, Bd. 9, Detroit u.a. 2007.
  • Art Spiegelman, Die vollständige Maus – Die Geschichte eines Überlebenden, Frankfurt/Main 2008