Mitwirkung bei Doron Rabinovicis "Die letzten Zeugen" (2013)

Marko Feingold bei der Aufführung im Burgtheater in Wien

Das Stück

Die letzten Zeugen ist ein Zeitzeugenprojekt des österreichischen Schriftstellers Doron Rabinovici und des damaligen Leiters des Wiener Burgtheaters Matthias Hartmann. In Anwesenheit von sechs Holocaust-Überlebenden, darunter Marko Feingold, lasen vier BurgschauspielerInnen deren Erinnerungstexte vor. Im zweiten Teil des Abends konnte das Publikum in drei Foyerräumen des Burgtheaters an jeweils zwei ZeitzeugInnen Fragen richten.

Die Premiere fand am 20. Oktober 2013 statt – anlässlich des Gedenkens an 75 Jahre seit den Novemberpogromen 1938. 2014 wurde die Produktion auch zum Berliner Theatertreffen, ans Staatsschauspiel Dresden und ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg sowie 2015 ans Schauspiel Frankfurt eingeladen. Die Jury des Berliner Theatertreffens erklärte das Stück im Februar 2014 zu den zehn bemerkenswertesten (aus 395) Inszenierungen im gesamten deutschen Sprachraum. Am Salzburger Landestheater hatte das Stück am 11. Oktober 2015 Premiere.

Die Mitwirkenden

Die Idee, ZeitzeugInnen auf die Burgtheaterbühne zu bringen war von Hartmann an Rabinovici herangetragen worden. Dieser wählte dafür sieben Personen aus: seine Mutter, Suzanne-Lucienne Rabinovici (damals 81 Jahre alt), Vilma Neuwirth (85 J.), die in Wien als Tochter einer damals so genannten „Mischehe“ überlebt hatte, Marko Feingold (100 J.), Lucia Heilman (84 J.), die in Wien versteckt worden war, Rudi Gelbard (83 J.), ein Überlebender aus dem Konzentrationslager Theresienstadt, und Ari Rath (88 J.), der 1938 als Jugendlicher nach Palästina flüchten konnte und Herausgeber der englischsprachigen international bekannten Jerusalem Post wurde. Außerdem bezog Rabinovici auch die Erinnerung der Romni-Überlebenden Ceija Stojka, die vor der Produktion im Alter von 80 Jahren verstarb, in das Stück mit ein.

Die Inszenierung

Die sehr schlicht gehaltene Inszenierung bestand aus einer mehr oder weniger leeren Bühne und halbtransparenten Leinwänden, hinter denen sieben Stühle aufgestellt waren, auf denen die ZeitzeugInnen schweigend Platz nahmen. Der symbolische Stuhl für Ceja Stojka blieb leer. Die SchauspielerInnen (Mavie Hörbiger, Dörte Lyssewski, Peter Knaack und Daniel Sträßer aus dem Ensemble des Burgtheaters) befanden sich am Bühnenrand und lasen von dort aus den Lebens- und Leidensgeschichten der „letzten Zeugen“, die stellvertretend für alle Opfer der Shoah von Ausgrenzung, Enteignung, Vertreibung, Konzentrationslager, Auslöschung und Überleben handeln. Die Gesichter der ZeitzeugInnen wurden zeitgleich auf eine der beiden großen Leinwände projiziert. Abwechselnd hierzu wurden Fotos aus dem Wien von 1938 und Bilder aus Konzentrations- und Vernichtungslagern eingeblendet. Währenddessen setzte sich eine junge Frau auf der Bühne an einen Tisch und begann zu schreiben, um das Gesprochene zu protokollieren. Ihr Text, ein weißes Band Papier, zog sich über die gesamte Bühne und stellte damit ein symbolisches Schreiben gegen das Vergessen dar. Verdeutlicht werden sollte damit auch, dass es bald keine unmittelbare Erinnerung mehr geben wird. Was bleibt sind Texte, Fragmente, Protokolle, die, wie im Stück, von anderen vorgetragen, angeeignet und verstanden werden müssen.

Marko Feingold am Rednerpult

Im Laufe des Abends verabschiedeten sich die ZeitzeugInnen einzeln beim Publikum. Eine oder einer der SchauspielerInnen holte sie jeweils hinter der Leinwand ab und führte sie in die Mitte der Bühne. Zum ersten Mal waren nun ihre eigenen Stimmen zu hören. Als Marko Feingold bei der Premiere ans Rednerpult trat, nahm er zunächst ein Papier aus seinem Jackett, faltete es kurz darauf jedoch wieder zusammen. Er habe kurzfristig seinen Text geändert, erklärte er. Vor wenigen Tagen sei zum dritten Mal in den vergangenen Monaten, die Gegensprechanlage der Salzburger Synagoge demoliert und zerstört worden. Unfassbar sei es, dass so etwas nach 75 Jahren immer noch passiere.

Der Theaterabend endete im Stillen, am Schluss waren alle Stühle leer, die ZeitzeugInnen verschwunden. Beim Schlussapplaus am Premierentag kam es zu minutenlangen Standing Ovations.

Reaktionen

Waren ursprünglich nur fünf Abende geplant, wurden aufgrund der hohen Wertschätzung und der Nachfrage des Publikums vier zusätzliche Abende (am 21. November und 5. Dezember 2013, sowie am 15. März 2014 und noch einmal am 20. Jänner 2015) eingeschoben.

Auch von Seiten der Kritik kamen durchwegs nur positive, wertschätzende Reaktionen. So war beispielsweise zu lesen: Ein „würdevoller, bewegender und aufwühlender Abend, abseits wohlfeiler Betroffenheitstheatralik“ (Deutschlandfunk). „Die Schlichtheit dieser Inszenierung liess (sic) die Wucht des Erzählten voll zur Geltung kommen“ (Neue Zürcher Zeitung). „Das Burgtheater wäre keine Staatsbühne, wenn dort die Österreicher nicht etwas über sich selbst erfahren würden. Und so ist der Abend auch eine kathartische Übung, die das Publikum mit angehaltenem Atem über sich ergehen lässt“ (Die Welt). Ein „kluger, großer, unverzichtbarer Abend“ (Der Standard). „Tief bewegend waren die Erinnerungen an Todesangst und Niedertracht, an große und kleine Heldentaten, an das vielfache Zusammenwirken von Mut und Glück, Schicksal und Zufall, das nötig war, immer wieder aufs Neue dem Tod zu entkommen. Entsetzliche Geschichten, die einem immer wieder den Atem nahmen.“ (oe24.at).

Literatur:

Sanna Stegmaier, From the “Posttraumatic” to the “Transtestimonial”: Doron Rabinovici’s Die letzten Zeugen (2013) as a corporal topography of discursive and emotive Holocaust memory, in: German Life and Letters 72, 4 (2019), 522-540