Endphase, Befreiung und Rückkehr nach Österreich

Endphase

Die letzten Monate im KZ Buchenwald waren für Marko Feingold vom herannahenden Krieg geprägt. Nachdem es Ende August 1944 erstmals zu Bombardierungen der Rüstungsbetriebe im Umfeld gekommen war, bestand die Arbeit in der Folgezeit vor allem darin Bombenschäden zu beseitigen. Neubauarbeiten gab es keine mehr. Im Zusammenhang mit den Reparaturen am Privathaus eines SS-Mannes erinnerte sich Feingold auch an eine besonders absurde Begebenheit: Dessen Ehefrau bat den zuständigen Vorarbeiter, für sie ein Kaninchen zu schlachten, da ihr Mann – im KZ als Massenmörder bekannt – keinem Tier etwas zuleid tun könne.

In seiner Endphase war Buchenwald heillos überfüllt. Viele Häftlinge aus Lagern weiter im Osten wurden auf den so genannten Todesmärschen nach Buchenwald „evakuiert“. Anfang April 1945 befanden sich um die 47.500 Personen dort, obwohl das Lager für maximal 15.000 konzipiert war. Kurz vor der Befreiung wurden viele von ihnen erneut abtransportiert, zwischen 12.000 und 15.000 Menschen überlebten diese letzte „Evakuierung“ nicht. Am 11. April waren noch 21.000 Häftlinge im Hauptlager von Buchenwald. Generell herrschte in diesen letzten Wochen unter den Häftlingen große Ungewissheit. Zwar war man sich mittlerweile sicher, dass es bis zum Ende nicht mehr lange dauern konnte, allerdings gab es keinerlei Klarheit darüber, wie dieses aussehen könnte: Würde die SS alles mit Flammenwerfern in Brand setzen, würde man sie alle erschießen, …?

Der Tag der Befreiung

Über die Befreiung von Buchenwald am 11. April 1945 gibt es zahlreiche unterschiedliche, sich mitunter auch widersprechende Berichte. Marko Feingold erlebte den Tag laut seinen Erinnerungen folgendermaßen: Gegen elf Uhr Vormittag ertönte plötzlich der Aufruf „Alle SS-Leute verlassen das Lager“. Er begab sich zur Sicherheit in den unteren Teil des Lagers, wo die Blöcke aus Stein und nicht aus Holz gebaut waren. Sollte die SS doch noch mit Flammenwerfern aufmarschieren, hätten diese einen besseren Schutz geboten. Gegen Mittag war schließlich der Sirenenton „Feind naht“ zu vernehmen, dann tauchte ein US-amerikanisches Beobachtungsflugzeug am Himmel auf. Am Nachmittag traf die US-Armee ein und das Lager war vollständig befreit. Feingold bekam laut eigenen Aussagen allerdings nichts mit von Gewehren, die angeblich von Häftlingen organisiert und verteilt worden waren, sah keine Kampfhandlungen und hörte keinen einzigen Schuss. Allerdings erinnerte er sich an ca. 120 im Lager gefangen genommene SS-Leute, darunter sehr viele ukrainische, die nicht gewusst hatten, wohin sie fliehen sollten. Noch am selben Tag wurde von den Häftlingen ein „Freudenappell“ abgehalten. In den nächsten Tagen gab es bessere und ausreichend Verpflegung. Schlagartig war der Hunger, der Feingold jahrelang gequält hatte, vorbei.

Konfrontation mit der Weimarer Bevölkerung

Bei einem ersten Spaziergang außerhalb des Lagers traf Feingold auf eine junge Frau, die für ihn zur Versinnbildlichung der Bevölkerung von Weimar wurde: Wie viele andere später beteuerte sie, man habe von nichts, was sich im KZ Buchenwald abgespielt hatte, gewusst. Generell stieß er nach seiner Befreiung kaum auf Empathie, vielmehr begannen schon, wie er es nannte, „die Verharmlosung, die Verheimlichung, das Nichtwissen- und das Nichtzugebenwollen“. Die Amerikaner führten die gesamte Bevölkerung von Weimar nach und nach ins Lager, zeigten ihnen auch die Leichenberge von Verstorbenen. Feingold erinnerte sich an hysterische Reaktionen, Weinanfälle, an Menschen, die in Ohnmacht fielen, nicht glauben wollten, dass „ihre Leute“ so etwas getan hätten.

Weg aus Buchenwald - Rückkehr nach Österreich

Marko Feingold gab gegenüber seinen US-amerikanischen Befreiern an, nach Wien reisen und anschließend in die USA auswandern zu wollen. Er hatte nichts mehr von seinen Geschwistern oder anderen Verwandten gehört und hoffte, sie in Wien zu finden. Zusammen mit anderen ehemaligen österreichischen Häftlingen wartete er darauf, abgeholt zu werden: Täglich kamen dazu Busse und Sanitätsautos aus verschiedenen Ländern nach Buchenwald. Aus Österreich, wo es ab dem 27. April 1945 eine provisorische Staatsregierung gab, wurde allerdings kein Transport geschickt. Die befreiten Österreicher warteten vielmehr vergeblich auf ihre Abholung. Einige ehemalige Häftlinge organisierten daraufhin in der Stadt Weimar drei Linienbusse und insgesamt 128 Personen traten – begleitet von einem US-amerikanischen Jeep – die Fahrt nach Österreich an. Allerdings war es ihnen nicht möglich bis nach Wien zu gelangen. Am Fluss Enns – der Grenze zwischen US-amerikanischer und sowjetischer Besatzungszone – gab es kein Weiterkommen mehr. Zwar gab es unter ihnen einige Kommunisten, die Russisch beherrschten und versuchten den sowjetischen Soldaten die Situation zu erklären, die Verhandlungen führte jedoch zu keinem Erfolg. Vielmehr bekamen die sie begleitenden US-amerikanischen Soldaten den Auftrag, sie zurück nach Buchenwald zu bringen.

Literaturempfehlung:
  • Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 3, Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006.
  • Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hg. von Birgit Kirchmayr / Albert Lichtblau, Wien 2000 (2. Auflage Salzburg / Wien 2012).
  • Gitta Günther / Gerhard Hoffmann, Konzentrationslager Buchenwald 1937 bis 1945. Kleines Lexikon, Ilmenau 2016.
  • David A. Hackett (Hg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002.
  • Hermann Langbein ,, ...nicht wie die Schafe zur Schlachtbank": Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt am Main 1980.

Literarische Erfahrungsberichte anderer Häftlinge (Auswahl):

  • Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, Stuttgart 2000.
  • Emil Carlebach, Tote auf Urlaub. Kommunist in Deutschland. Dachau und Buchenwald 1939 bis 1945, Bonn 2000.
  • Imre Kertész, Der Spurensucher – Erzählung, Frankfurt am Main 2002.
  • Jorge Semprun, Schreiben oder Leben, Frankfurt am Main 1997 (Übersetzung aus dem Französischen, Originaltitel: L’écriture ou la vie, Paris 1994).
  • Elie Wiesel, Die Nacht zu begraben, Elischa, München 2005.