Quelle: Photograph by Gakuro 2006, GFDL

Die jüdische Gemeinde Salzburgs seit den 1980er Jahren

Die 1980er Jahre

Beginn der Ära Feingold im Kontext einer zerfallenden „Opferthese“

1978 wurde die US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ zum ersten Mal ausgestrahlt. Ein Jahr später kam sie auch in die Bundesrepublik Deutschland und nach Österreich. Ihre Erstausstrahlung gilt als erinnerungsgeschichtliche Zäsur, da sich nun erstmals ein Massenpublikum mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen begann. Außerdem setzte sich mit ihr der Begriff „Holocaust“ zur Bezeichnung des Völkermords an Juden und Jüdinnen durch.

Österreich stilisierte sich nach der Befreiung 1945 zum „ersten Opfer Hitlers“ (s. Link) und stritt eine Mitverantwortung an NS-Verbrechen ab. Erst im Zuge der „Waldheim-Affäre“ 1986 (s. Link), die auch international große Aufmerksamkeit erregte, wurden erstmals breite öffentliche Debatten um die Mitschuld Österreichs geführt. Eine Zivilgesellschaft begann sich zu formen, die sich gegen Verharmlosung und Verdrängung aussprach und eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Österreichs einforderte. Die österreichische „Opferthese“ begann zu zerfallen.

Nicht alle ÖsterreicherInnen begrüßten diese Entwicklung. Zeitgleich zum Eingeständnis einer Mitverantwortung kam es in anderen Teilen der Bevölkerung auch zu einem Erstarken von Antisemitismus und vehementer Schuld- und Erinnerungsabwehr. 1986 übernahm zudem Jörg Haider den Vorsitz der FPÖ und begründete damit den Rechtspopulismus in Österreich.

Besonders anlässlich des „Bedenkjahres 1988“ begann eine umfassende Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, die mit einem zunehmenden Interesse für die NS-Opfer einherging: Mit Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus (Helmut-Zilk-Platz, ehem. Albertinaplatz, in Wien) entstand das erste monumentale Mahnmal zur NS-Zeit. Thomas Bernhards Drama Heldenplatz, das den „Anschluss“ Österreichs 1938 thematisiert, wurde 1988 im Wiener Burgtheater uraufgeführt und löste einen Theaterskandal aus.

Auf wissenschaftlicher Ebene begann eine umfassende Erforschung Österreichs in der NS-Zeit, die anfangs mit Themen wie Vertreibung, „Arisierung“ und NS-Verbrechen vor allem Opferschicksale beleuchte. Auf die Perspektive der TäterInnen wurde erst später verstärkt eingegangen. Zu erwähnen ist insbesondere die 1995 in Hamburg eröffnete und 1998 u.a. in Salzburg gezeigte Wehrmachtsausstellung. Sie stellte einen Bruch mit der bislang verbreiteten Sichtweise einer „sauberen Wehrmacht“ dar.

Ära Feingold und Errichtung eines Mahnmals in Salzburg 1985

Nur wenige Monate, nachdem mit der Wahl Marko Feingolds zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde die „Ära Feingold“ begann, wurden auch in Salzburg erste Veränderungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit bemerkbar; bis dahin nahmen viele SalzburgerInnen die jüdische Gemeinde gar nicht wahr: Im November 1985, um damit noch vor der Walheim-Affäre, enthüllten Marko Feingold und Bürgermeister Josef Reschen ein Mahnmal in Erinnerung an die Verfolgung und Vertreibung der Salzburger Juden und Jüdinnen und an die Zerstörung der Salzburger Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 auf dem Vorplatz der Synagoge. Der Ort wurde gewählt, weil man auf einem öffentlichen Platz eine Zerstörung des Mahnmals befürchtete.

Marko Feingold, der bereits seit Jahren im christlich-jüdischen Dialog aktiv war und Vorträge als Zeitzeuge hielt, begann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre seine Vortragstätigkeit zu intensivieren und gab erste mehrstündige lebensgeschichtliche Interviews (s. Link). Doch nicht nur die Nachfrage nach ihm als Zeitzeuge wurde stärker, sondern auch der Antisemitismus. Marko Feingold und die IKG erhielten im Zuge der „Waldheim-Affäre“ viele Drohbriefe. Irritiert zeigte er sich auch von einer Forderung des damaligen Landeshauptmanns Wilfried Haslauer senior. Dieser verlangte 1986 von der jüdischen Gemeinde in Salzburg, sich von österreichkritischen Kommentaren in der israelischen Tageszeitung Jedi’ot Acharonot zu distanzieren. Diese Aufforderung kam Marko Feingold und der IKG einer gesellschaftlichen Exklusion gleich: Offensichtlich wurden sie als Nicht-Österreicher wahrgenommen, als „Ableger“ Israels. Besonders heftig fielen die Reaktionen einiger nicht-jüdischer ÖsterreicherInnen im November des „Bedenkjahres 1988“ aus, als der ORF Werner Mücks Dokumentation Salzburg, der Mustergau ausstrahlte.

Literaturempfehlung
  • Eveline Brugger / Martha Keil / Albert Lichtblau / Christoph Lind / Barbara Staudinger, Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006.
  • Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38–66.
  • Helga Embacher, Albert Lichtblau, Günther Sandner, Umkämpfte Erinnerung: Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg, Salzburg 1999.
  • Michael Gehler, „… eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes …“. Die Waldheim-Affäre 1986–1992, in: Ders. / Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Wien 1995, 614–665.
  • Klaus Holz, Nationaler Antisemitismus, Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001.
  • Richard Mitten, The politics of antisemitic prejudice. The Waldheim phenomenon in Austria, Boulder 1992.
  • Ruth Wodak u. a., „Wir sind alle unschuldige Täter!“. Diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemitismus, Frankfurt/M. 1990.
  • Peter Schwarz / Siegwald Ganglmair, Emigration und Exil 1938 – 1945, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 817-849.