Jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion

Vor dem Holocaust lebten in der Sowjetunion etwa 2,6 Millionen Juden und Jüdinnen, nach 1945 waren es knapp zwei Millionen. Von Stalin inszeniert, setzte spätestens 1948 eine als antizionistisch getarnte Verfolgung jüdischer Intellektueller, KünstlerInnen und ÄrztInnen ein. Sie galten als „wurzellose Kosmopoliten“ und Bedrohung für den sowjetischen Staat. Ärzten jüdischer Herkunft wurde eine Verschwörung gegen den Kreml unterstellt.

Nach Stalins Tod 1953 erschwerte ein inoffizielles Quotensystem der jüdischen Minderheit weiterhin den Zugang zu öffentlichen Ämtern, Universitäten und zu einer Reihe weiterer Berufe. Im Personalausweis, wo bei allen SowjetbügerInnen die jeweilige nationale Zugehörigkeit eingetragen war, wurde bei Juden und Jüdinnen „jüdisch“ vermerkt, was ihre Alltagserfahrung stark prägte. Dennoch waren sie die bestausgebildetste ethnische Minderheit und überproportional in Kunst, Musik und Wissenschaft vertreten. Viele wiesen eine starke russische, teilweise auch eine kommunistische Identität auf. Das Wissen über Religion und auch über die eigene Familiengeschichte war vage, viele hatten nicht-jüdische EhepartnerInnen.

1971 durfte erstmals eine größere Gruppe sowjetischer Juden und Jüdinnen nach Israel ausreisen, ab 1973 nahmen die USA jährlich eine bestimme Quote auf. Die Ausreise war oft mit großen Schikanen und der Trennung von Familien und Freunden verbunden. Wien gilt als bedeutendste Transitstation; zwischen 1968 und 1973 passierten über 170.000 sowjetische Juden das Flüchtlingslager Schönau in Marchegg/Niederösterreich.

Der jüdische Exodus aus der Sowjetunion

Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges verließ der Großteil der Juden und Jüdinnen die Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten. Derzeit leben noch etwa 155.000 in Russland und 45.000 in der Ukraine sowie einige Tausend in weiteren GUS-Staaten. Der Großteil emigrierte nach Israel und in die USA. Etwa 200.000 siedelten sich im wiedervereinten Deutschland an, das sie als Kontingentflüchtlinge anerkannte, um damit den Fortbestand der stark überalterten jüdischen Gemeinden zu gewährleisten. Die Mehrheit stammt aus Städten wie Moskau oder Leningrad, weitere kamen aus Georgien, Moldawien oder Aserbeidschan. Das religiöse Wissen war vielfach sehr gering, ein großer Teil wurde von den deutschen Rabbinern auch nicht als Juden anerkannt. Dies löste eine nach wie vor geführte Debatte darüber aus, wer als Juden/Jüdin zu gelten hat.

Der gescheiterte Versuch einer Ansiedlung in Salzburg

Österreich war für „russische Juden“ weniger attraktiv, da sie nicht als Kontingentflüchtlinge anerkannt wurden. In Wien siedelten sich dennoch einige Tausend (konkrete Zahlen sind schwer zu nennen), vor allem aus Georgien und dem Kaukasus, an und trugen zum Fortleben der jüdischen Gemeinde bei.

Marko Feingold wollte auch die Salzburger jüdische Gemeinde durch die Ansiedlung von „russischen Juden“ retten. Von der Gründungsgeneration waren mittlerweile viele gestorben, deren Kinder lebten häufig in Wien oder im Ausland. Zumindest kurzzeitig gelang es ihm, einige Familien aus Odessa und Umgebung nach Salzburg zu holen. Sie verließen die Ukraine aus Angst vor einer ungewissen Zukunft, vor zunehmenden nationalen Konflikten und dem damit verstärkt auftretenden Antisemitismus. Trotz negativer Erfahrungen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft hatten sie nach wie vor eine starke russische Identität und nicht-jüdische russische Freunde. Mit der jüdischen Religion wenig vertraut, wurden sie in diese vom ultra-orthodoxen Rabbiner David Nussbaum eingeführt.

Der Neubeginn in Salzburg fiel den Frauen insgesamt leichter. Zwei in der Sowjetunion ausgebildete Krankenpflegerinnen fanden in einem städtischen Altersheim Arbeit, eine arbeitete in einem bekannten Salzburger Kaffeehaus. Größere Probleme am Arbeitsmarkt hatten die Männer, vor allem ein gelernter Goldschmied. Die Kleinstadt Salzburg bot den „russischen Zuwanderern“, die nach wie vor der pulsierenden Großstadt Odessa nachtrauerten, allerdings zu wenig Anknüpfungspunkte. Auch die Kultusgemeinde blieb ihnen mehr oder weniger fremd. Mittlerweile haben alle Salzburg verlassen. Die Zukunft der kleinen Gemeinde ist somit mehr als ungewiss.

Literaturempfehlung:
  • Alexander Friedmann / Maria Hofstätter / Ilan  Knapp, Eine neue Heimat? Jüdische Emigrantinnen und Emigranten aus der Sowjetunion, Wien 1993.
  • Yfaat Weis / Lena Gorelik, Die russisch-jüdische Zuwanderung, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012, 379-436.