NS-Projekt: Kerschbaumer über „ausgelöschte Erinnerung“
Gert Kerschbaumer, der wohl profilierteste Forscher zur Geschichte des Nationalsozialismus in Salzburg, wies Donnerstagabend, 26. November 2015, in der TriBühne Lehen zunächst darauf hin, dass Machthaber ein Interesse hätten, ihren Opfern auch die Erinnerung an sie zu nehmen. Er zitierte das Beispiel des polnischen Zwangsarbeiters Bronislaw Weja: verhaftet wegen unerlaubten Arbeitsplatzwechsels, tot in einer Einzelzelle des Landesgerichtes Salzburg aufgefunden, offiziell „Selbstmord“.
Bronislaw Weja wurde, wie bei Selbstmördern üblich, in einer entlegenen Ecke des städtischen Friedhofes verscharrt. Die Gestapo habe sich damit jeglichen Verdachtes auf Gewaltanwendung entledigt. „Der Name des in den Tod getriebenen oder ermordeten, zum ‚armen Sünder‘ gemachten polnischen Zwangsarbeiters sollte für immer ausgelöscht bleiben, und die Wahrheit im anonymen Grab liegen“, so Kerschbaumer.
„Stolpersteine“ geben Identität zurück
In einem weiteren Beispiel zeigte Kerschbaumer auf, dass man zwar den Grabstein des 1921 gestorbenen Albert Pollak finden könne, nicht jedoch die Gräber seiner 23 Kinder und Enkelkinder, alle Opfer der Shoa. Primo Levi zitierend, meinte Kerschbaumer, es gehe immer um „das Auslöschen der Erinnerung“.
Das Projekt „Stolpersteine“ hole dagegen alle Opfer des NS-Terrors aus ihrer Anonymität, gebe ihnen ihren Namen und ihre Biografie zurück, verleihe ihnen ein Gesicht und verorte sie in der Topografie der Stadt. Über das Internet werde damit ein Raum der Erinnerung geschaffen, auch und gerade für über die Welt verstreute Angehörige.
Opfer noch immer nicht anerkannt
Das österreichische Opferfürsorgegesetz habe zunächst eine Reihe von Opfergruppen gar nicht anerkannt. So jüdische Opfer der Shoa, die keine österreichische Staatsbürgerschaft besaßen, Sinti und Roma, Homosexuelle oder Deserteure. Erst allmählich sei der Kreis der Opfergruppen ausgeweitet worden, der aber noch immer nicht vollständig sei. So fänden zum Beispiel Frauen, die wegen des Deliktes „verbotener Umgang“ (also verbotener sexueller Kontakt zu Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern) in der NS-Zeit verurteilt worden waren, noch immer keine Berücksichtigung. Und dies, obwohl die einschlägigen NS-Gesetze bereits 1945 aufgehoben worden waren.
Der Vortrag von Gert Kerschbaumer über vergessene Opfer des NS-Terrors und die Erinnerungskultur im öffentlichen Raum beendete die diesjährige Vortragsreihe und war der letzte öffentliche Vortrag im Rahmen des Projektes „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“.
43 Vorträge in sieben Jahren
Die Vortragsreihen starteten 2009. In sieben Jahren fanden 43 Einzelvorträge statt. Sie waren mit je 150 bis 200 ZuhörerInnen sehr gut besucht und wurden ausführlich in Sammelbänden dargestellt. Die Themenpalette reichte vom „Anschluß“ und seinen Folgen über das „Leben im Terror“, die „Inszenierung der Macht“ bis zur nationalsozialistischen Kommunalpolitik. Heuer bildeten Entnazifizierung und Erinnerungskultur die inhaltlichen Eckpunkte.
Aber auch nach dem Auslaufen der öffentlichen Vorträge in der TriBühne Lehen geht das NS-Projekt der Stadt Salzburg weiter. Weitere Bücher und Aktivitäten sind geplant.

Karl Schupfer