Univ.-Prof. Dr. Hans Sedlmayr

Biografie als PDF mit Quellen und Literatur:
Univ.-Prof. Dr. Hans Sedlmayr (li.) erhält von Bürgermeister Heinrich Salfenauer den Wissenschaftspreis der Landeshauptstadt Salzburg, 1979

Kunsthistoriker

* 18. Jänner 1896 in Szarvkő (Komitat Sopron, Königreich Ungarn; heute Hornstein, Bezirk Eisenstadt-Umgebung, Burgenland)

† 9. Juli 1984 in Salzburg

Benennung des Weges: Hans-Sedlmayr-Weg, beschlossen am 24. Juli 1984

Lage: Nonntal; von der Kreuzung Fürstenalle/Sinnhubstraße nordwestlich verlaufender, die Brunnhausgasse kreuzender und bis zum Schartentor führender Weg.

 

Hans Sedlmayr gilt als einer der profiliertesten, aber auch umstrittensten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Willibald Sauerländer charakterisierte Sedlmayr als „einen der wenigen faschistischen Intellektuellen von hohen Graden“. Laut dem deutschen Kunsthistoriker gehörte Sedlmayr „ähnlich wie Heidegger oder Carl Schmitt (…) zu den wenigen Kalibern, die sich im totalen Staat engagiert, ja gefunden hatten“. Sauerländer problematisierte damit Sedlmayrs Rolle als politischen Kunsthistoriker, der sich vor, während und nach dem „Dritten Reich“ zu seinen restaurativen kulturkritischen Anliegen bekannt hatte. Sedlmayrs Pathologisierung der Moderne drückte sich am prominentesten in dessen 1948 in erster Auflage erschienenen Hauptwerk „Verlust der Mitte“ aus, dem eine Affinität zur nationalsozialistischen Hetze gegen die „entartete Kunst“ zugeschrieben wurde.

 

Hans Sedlmayr wurde am 18. Jänner 1896 in Hornstein (Burgenland, damals Königreich Ungarn) als Sohn des Agrarökonomen Ernst C. Sedlmayr geboren. Am Ersten Weltkrieg nahm er zunächst in Galizien und Wolhynien, seit 1917 als Leutnant der k. u. k. Armee in Konstantinopel und in weiterer Folge an der Palästinafront und in Damaskus teil. Nach dem Kriegsende begann Sedlmayr im Herbst 1918 an der Wiener Technischen Hochschule zunächst Architektur zu studieren. Beeindruckt von den Vorlesungen der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl und Max Dvořák, wandte er sich 1920 schließlich dem Studium der Kunstgeschichte zu. 1923 wurde er bei Julius von Schlosser an der Universität Wien mit einer Dissertation über den österreichischen Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach promoviert. 1933 habilitierte sich Sedlmayr an der Technischen Hochschule Wien für Allgemeine Kunstgeschichte (unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte des Städtebaus und der Gartenkunst) mit Studien zu Fischer von Erlach. Im Jahr 1934 schloss sich seine Habilitation an der Universität Wien an, wobei Sedlmayrs Lehrbefugnis sich auf das Fachgebiet „mittlere und neuere Kunstgeschichte“ bezog. Seit 1935 Assistent am Wiener Kunsthistorischen Institut, wurde er 1936 ebendort als Nachfolger von Julius von Schlosser zum ordentlichen Professor ernannt. Sedlmayr stand damals „katholisch-national“ gesinnten Professoren an der Universität Wien wie Heinrich Srbik, Josef Nadler und Hans Eibl nahe. Nach dem „Anschluß“ Österreichs an Deutschland wurde Sedlmayr neuerlich als NS-Parteigänger geführt, der der NSDAP seit dem 1. Jänner 1938 angehört habe, nachdem er bereits von 1930 bis 1932 Parteimitglied gewesen war. Nach der Befreiung von der NS-Herrschaft wurde dem Kunsthistoriker seine NSDAP-Mitgliedschaft – wenigstens für einige Zeit – allerdings zum Verhängnis: Sedlmayr wurde zwangsemeritiert und einem dreijährigen Berufsverbot unterworfen. Die Sonderkommission beim Unterrichtsministerium, die Sedlmayrs Zwangsemeritierung verfügte, sah „keine Gewähr dafür, dass er jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich eintreten werde“ und kürzte seinen „Ruhestandsgenuss“ um 50 Prozent. Nachdem Sedlmayr 1949 als „minderbelasteter“ Nationalsozialist entnazifiziert worden war, konnte er 1951 neuerlich eine akademische Karriere aufnehmen – diesmal als Professor an der Universität München. 1960 scheiterte seine Rückberufung an die Universität Wien, nachdem sich die dortigen Kunsthistoriker mehrheitlich dagegen ausgesprochen hatten. 1964 wurde Sedlmayr in München emeritiert. Noch im selben Jahr übernahm er eine Gastprofessur an der zwei Jahre zuvor wiedererrichteten Universität Salzburg, die 1965 in eine Honorarprofessur umgewandelt wurde. In dieser Funktion baute Sedlmayr das Kunsthistorische Institut auf, bis er 1969 in den Ruhestand wechselte. Sedlmayr setzte sich seither verstärkt für den Schutz der Salzburger Altstadt und ihrer landschaftlichen Umgebung ein, wodurch er zum Mentor der damals entstehenden politischen Gruppierung „Bürgerliste Salzburg“ wurde. Vor allem sein Einsatz für den Altstadt- und Landschaftsschutz trug ihm zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen ein (u. a. den Ehrenring der Stadt Salzburg 1972; Dr. phil. h.c. der Universität Salzburg 1972; Österreichischer Naturschutzpreis 1976; Wissenschaftspreis der Stadt Salzburg 1979; Österreichische Denkmalschutzmedaille 1982). Hans Sedlmayr starb am 9. Juli 1984 in Salzburg. Er wurde am 13. Juli 1984 auf dem Friedhof Morzg beigesetzt.

 

Frühe Beispiele für Sedlmayrs Polemik gegen Avantgarde und Moderne

Nachdem Hans Sedlmayr 1923 zum Dr. phil. promoviert worden war, arbeitete er zehn Jahre als freier Wissenschafter. Der junge Kunsthistoriker öffnete sich für unterschiedliche methodische Ansätze, die im Spannungsfeld zwischen Kunstwissenschaft und Psychologie lagen. Sedlmayr war vor allem von der Gestalttheorie beeindruckt, die mit den Namen der Gestaltpsychologen Kurt Koffka und Max Wertheimer verbunden war und die ihm der Wiener Psychologe Karl Bühler maßgeblich vermittelte. Sedlmayr sah sich in der Nachfolge der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl und Max Dvořák und wurde neben Otto Pächt zum Hauptrepräsentanten der „Neuen Wiener Schule“ erklärt. In der Literatur wird Sedlmayrs Fähigkeit hervorgehoben, komplexe Strukturen anschaulich zu erklären, die bereits in seinen frühen Architekturanalysen hervortrat. Diese Studien offenbaren nach Ansicht des Kunsthistorikers Hans H. Aurenhammer aber auch „einen unaufgelösten Widerspruch zwischen Sachnähe und Gewaltsamkeit der Interpretation“. Sedlmayrs vermeintlicher Objektivismus, wie er ihn etwa in seiner Schrift „Gestaltetes Sehen“ (1925) postulierte, sei demnach „das Ergebnis eines oft willkürlich-subjektiven Zugriffs“ gewesen.

1926 veröffentlichte Sedlmayr eine Studie „Der absolute Städtebau“, in der er sich mit den Stadtbauplänen des schweizerisch-französischen Architekturtheoretikers, Architekten und Stadtplaners Le Corbusier auseinandersetzte. In dieser Arbeit tauchten nach Sauerländer „zum ersten Mal die Argumente einer fundamentalistischen Kritik an der technisch geprägten Moderne“ auf, die er drei Jahrzehnte später in seinem Hauptwerk „Verlust der Mitte“ zu einer Synthese der pessimistischen Kulturkritik formte. Le Corbusier fasse die Stadt als Werkzeug auf, wie man es zum Bau einer Maschine, einer Fabrik oder eines Schiffes benötige. Nach Meinung Sedlmayrs könne man daher bei Le Corbusier nicht von „Stadtbaukunst“ sprechen. 1930 veröffentlichte Sedlmayr eine Monographie zum Barockarchitekten Francesco Borromini. Darin wandte sich der Kunsthistoriker dezidiert gegen Erscheinungen in der Kunst, die er als pathologisch ansah. So monierte er laut dem Kunsthistoriker Albert Ottenbacher das exotische Erscheinungsbild der von Borromini entworfenen römischen Kirche S. Carlo alle Quattro Fontane. Sedlmayr erkannte „das Streben nach schwingender Bewegtheit und Plastizität, das komplizierte Ineinandergreifen und Sich-Durchdringen verschiedener Raumkörper“ als „ein Zeichen der Krankheit und des Verfalls“. In der Person Borrominis selbst glaubte Sedlmayr nach Sauerländer jenen „schizothymen“ Typus erkennen zu können, den Ernst Kretschmer in seinem populären Buch „Körperbau und Charakter“ (1921) beschrieben hatte.

Das von ihm programmatisch postulierte „gestaltete Sehen“ übertrug Sedlmayr erstmals in seiner Abhandlung über „Die ‚macchia‘ Bruegels“ (1934) auf das Menschenbild in der Malerei. In Bruegels Darstellungen der „Defekten“ erblickte der Kunsthistoriker „jene Grenzformen des Menschlichen, in denen und von denen her das Wesen des Menschen fragwürdig wird“. Mit diesem von ihm verwendeten Vokabular näherte sich Sedlmayr an eugenische Denkmuster an, die sich damals zunehmend verbreiteten. Auch er erblickte damit in den abweichenden Verhaltensweisen sogenannter Geisteskranker und anderer „Defekter“ eine Gefährdung der angestrebten „Reinheit“ eines organisch verstandenen „Volkskörpers“.

1939 veröffentlichte Sedlmayr einen Aufsatz mit dem Titel „Die Kugel als Gebäude oder: Das Bodenlose“. Diese Studie beinhaltete neuerlich jene Affekte gegen das moderne Bauen, die bereits 1926 in Sedlmayrs Text über Le Corbusier angeklungen waren. Er bezog sich dabei auf die Kugelbauentwürfe des französischen Architekten Claude-Nicolas Ledoux, die er als „Symptom einer tiefgreifenden Krise der Baukunst“ ansah. Nach Sedlmayr verleugneten diese Entwürfe, die auch die Vorliebe der französischen Aufklärung für die Geometrie spiegelten, das Wesen des Architektonischen. Wenn die Architektur die Häuser nicht mehr im Boden verwurzele, sondern sie – wie auch bei Le Corbusier – auf Pylonen stelle, rückte sie in der Interpretation entsprechender Äußerungen Sedlmayrs durch Sauerländer „in die Nähe eines architekturgeschichtlichen Jakobinertums“. Von den Jakobinern schien der Weg zu den Bolschewisten jedenfalls nur kurz zu sein. Sedlmayr dekretierte denn auch die Zeit nach der Oktoberrevolution von 1917 als „die zweite Blütezeit des abstrakten Bauens. (…) So wie Frankreich die erste, so führen jetzt die Utopien russischer Entwürfe die zweite Revolution an.“ 1939 kam Sedlmayr abermals nicht ohne den fatalen Versuch einer politischen Aktualisierung aus, die den „totalen Staat“ als Instrument zur Rückgewinnung der verlorenen „Ordnung“ preist. Er formulierte: „Die Tribünen eines russischen Stadions lösen sich vom Boden, sie scheinen labil bis aufs äußerste. Das Reichssportfeld Werner Marchs senkt den Bau zur Hälfte in die Erde und fasst ihn in eine Ordnung, die dem Bau das Maßvolle gibt. Der totale Staat (…) sorgt auch im Tektonischen für den ‚Retour à l’ordre‘."

In diesen Proklamationen Sedlmayrs sah Sauerländer „die erste öffentliche Verkündigung des ‚Verlusts der Mitte‘ (…) im weltanschaulichen Rahmensystem der nationalsozialistischen Gegnerschaft gegen die Moderne, gegen die kosmopolitische Entwurzelung und gegen die Juden als deren angebliche Wortführer“. Doch Sauerländer verwies auch auf jenes Paradoxon, das für Sedlmayrs wissenschaftliches Schaffen als genuin erscheint: So habe der gleiche Autor, der 1939 „das fatale Pamphlet über den Kugelbau“ verfasst habe, im Jahr zuvor „hochsensible Aphorismen“ über „Die Idee des Paradieses als Zentralmonade der französischen Kunst“ veröffentlicht, „die zu den schönsten Äußerungen zur Kunst Frankreichs in deutscher Sprache gehören“. Allerdings habe er diesen „nach dem Anschluss als Vorwort ein ungemein törichtes Bekenntnis zu Hitler“ hinzugefügt.

 

Hans Sedlmayr in den 1930er-Jahren – „Katholik und Nazi zugleich“?

Sedlmayrs polemisches Engagement gegen Avantgarde und Moderne entsprach vice versaseine Hochschätzung jener Traditionen in Baukunst und Malerei, die er als abendländisch-christlich verstanden wissen wollte. Als Sedlmayr während des Ersten Weltkriegs als Leutnant der k. u. k. Armee in der Levante stationiert war, sah er die byzantinische Architektur Konstantinopels. Für seine spätere Perspektive auf die Architekturgeschichte erwies sich ferner seine damalige Begegnung mit der antiken und islamischen Baukunst in Syrien und Palästina, in Damaskus und Jerusalem als prägend. Wie Albert Ottenbacher festhielt, entdeckte Sedlmayr im Zusammenhang mit seiner „Suche nach geschichtlichen Heilsepochen“ bereits „früh die hierarchisch organisierte byzantinische Gesellschaft“. Er stehe damit „in diametralem Gegensatz zu einer humanistischen Tradition, die ihr Muster in der griechischen Demokratie oder in der christlichen Urgemeinde findet“.

Die Bezugnahme auf das „Reich“ sah Ottenbacher bereits in der Wahl der von Sedlmayr in den 1920er-Jahren erforschten Themen als „latent vorhanden“ an. In seinen 1933 publizierten Forschungen über „Das erste mittelalterliche Architektursystem“ kam sie demnach erstmals zum Vorschein. Sedlmayr postulierte in diesen Studien, dass das „Baldachinprinzip“ nicht etwa aus der orientalischen, „sassanidischen“ Architektur abgeleitet werden könne, sondern sich vielmehr auf byzantinisch-justinianische Traditionen zurückführen lasse. So sei die Hagia Sophia ein „Abbild der Himmelsstadt“, deren Vorbild in der trajanisch-hadrianischen Epoche liege. Sie bestehe nicht aus orientalisierenden Kuppeln, sondern weise 46 Baldachine auf. Diese Interpretationsweise ermöglichte es dem Kunsthistoriker laut Ottenbacher, „den Aufweis einer Reichskontinuität vom Imperium Romanum über das Zweite, also byzantinische Rom bis hin zum Deutschen Reich“ zu führen. Sein Deutungssystem suchte Sedlmayr auch auf den österreichischen Barock zu übertragen. Demnach ließ sich etwa für die Salzburger Dreifaltigkeitskirche der immanente Verdacht scheinbar entkräften, dass deren Architektur sich an orientalische Vorbilder anlehnen würde. Sie entspreche vielmehr dem „Typus der barocken Kirchenarchitektur, der letzten Endes aus den römischen Thermen“ stamme.

Indem sich Sedlmayr verstärkt der „Reichsidee“ zuwandte, näherte er sich der vom Bundeskanzler und Initiator des „Ständestaats“ Engelbert Dollfuß geförderten „vaterländischen“ Geschichtsauffassung an. Diese Ordnungsidee betonte den sakralen Charakter von Österreichs vermeintlicher historischer Sendung, die sich vom Modell des deutschen Nationalstaats abzugrenzen suchte, aber auch das „wahre Deutschtum“ für Österreich in Anspruch nahm. 1933 feierte Wien das 250-jährige Jubiläum der Vertreibung der osmanischen Belagerer durch ein christliches Entsatzheer. Der „Allgemeine Deutsche Katholikentag“, der vom 7. bis 12. September 1933 in Wien stattfand, bot auch Sedlmayr die Gelegenheit, sich in den damals an Bedeutung gewinnenden Diskurs des Triumphes der christlich-abendländischen Kultur gegen den „Feind aus dem Osten“ einzubringen. Dieser ließ sich – mit Stoßrichtung gegen den „Bolschewismus“ – leicht politisch aktualisieren. Der Kunsthistoriker war mit einem Beitrag im „Festführer“ zum Katholikentag vertreten. In dieser Broschüre schien der Historiker Taras Borodajkewycz, der über den „geschichtlichen Anlaß der Tagung“ referierte, als „Sekretär des vorbereitenden Katholikentagskomitees“ auf. Vom Germanisten Josef Nadler stammte ein Beitrag über „Deutsche Heimat in Mitteleuropa“. Sedlmayr selbst schrieb für diese Publikation einen Artikel über das „Werden des Wiener Stadtbildes“. Darin stellte er der „chaotischen Welt“ der modernen Metropole die „prägnante Gestalt von Wiens Urbanistik“ gegenüber. Gleichzeitig distanzierte sich der Kunsthistoriker deutlich von dem – von sozial- und gesundheitspolitischen Erwägungen geleiteten – Bauprogramm des „Roten Wien“ der 1920er Jahre. Die „hygienisch verbesserten und entdekorierten Wohnkasernen der Nachkriegsära“ hätten demnach „nur eine letzte Phase“ im Wien des 19. Jahrhunderts, aber keine neue Ära des Bauens in der österreichischen Hauptstadt bedeutet.

Sedlmayr stand nicht nur Taras Borodajkewycz und Josef Nadler, sondern auch dem österreichischen Historiker Heinrich Srbik nahe, dem damals einflussreichsten Vertreter der „gesamtdeutschen“ Geschichtsauffassung. Diese Gelehrten galten als „Katholisch-Nationale“, denen im Dollfuß/Schuschnigg-Regime auch die Funktion von „Brückenbauern“ zu den österreichischen Nationalsozialisten zugeschrieben wurde. Die Bezugnahme auf eine durchwegs vage Reichsmystik verknüpfte Sedlmayr in dieser Zeit zunehmend mit der besonderen Betonung des „Deutschtums“. So konstruierte er Johann Bernhard Fischer von Erlach als einen markanten Vertreter des „Reichsstils“, dem er laut Ottenbacher einen „Ehrenplatz im Bewußtsein des deutschen Gesamtvolkes“ zuweisen wollte. Den „Reichsstil“ konzipierte Sedlmayr erstmals in seinem Aufsatz „Österreichs bildende Kunst“, welchen er in dem von Josef Nadler und Heinrich Srbik herausgegebenen programmatischen Sammelband „Österreich – Erbe und Sendung im deutschen Raum“ veröffentlichte. 1938 erschien seine Studie „Die politische Bedeutung des deutschen Barock – der ‚Reichsstil‘“ als Beitrag zur Festschrift für Heinrich Srbik.

Während er den österreichischen Barockarchitekten Fischer von Erlach zunehmend „eindeutschte“, engagierte sich Sedlmayr auch in Deutschland selbst für seinen kunsthistorischen Ansatz, die österreichische Kunst als einen besonderen Beitrag zur deutschen Kunstentwicklung schlechthin zu betrachten. Zu diesem Zweck hielt er am 26. Mai 1937 am Kunsthistorischen Seminar der Universität Berlin den Vortrag „Die Rolle Österreichs in der Geschichte der deutschen Kunst“. Das publizistische Kampfblatt der Nationalsozialisten, der „Völkische Beobachter“, berichtete darüber. Sedlmayr hob in seinen Ausführungen die „gesamtdeutsche Kunst“ ebenso hervor wie den „Reichsstil“, der die italienische Fremdherrschaft in der deutschen Baukunst gebrochen habe. Den im März 1938 vollzogenen „Anschluß“ nahm er gleichsam vorweg, indem er apodiktisch feststellte, „daß es die Aufgabe der Zukunft sein wird, den Riß zu schließen, den in der Vergangenheit staatliche Mächte oft zwischen der Kunst Österreichs und Gesamtdeutschlands gezogen haben“.

Insgesamt zeigte sich in Sedlmayrs Schriften, die er bis 1938 veröffentlichte, dass er die von Srbik propagierte „gesamtdeutsche Geschichtsauffassung“ auf die Ebene der kunsthistorischen Betrachtungsweise zu übertragen suchte. Dies implizierte nicht unbedingt ein vollständiges Aufgehen österreichischer kultureller Besonderheiten im Deutschen Reich, legte aber den „Anschluß“ als politisch anzustrebende Zielsetzung nahe. Die „großdeutsche“ Tendenz Sedlmayrs schlug sich auch in dessen früher Mitgliedschaft in der österreichischen NSDAP nieder. Sedlmayr ist nämlich bereits am 7. November 1930 der NSDAP beigetreten und hatte die alte Mitgliedsnummer 302.489. Noch ehe die NSDAP am 19. Juni 1933 nach einer Serie von nationalsozialistischen Terrorakten in Österreich verboten wurde, trat Sedlmayr nach einer eidesstattlichen Erklärung vom 11. Mai 1938 im Dezember 1932 „mit der Bitte aus, ihn weiter als mit der Partei sympathisierend zu betrachten“. Wie er selbst 1938 zu Protokoll gab, sei er „seit jäher (sic) ‚national‘ eingestellt“ und Mitglied des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins gewesen. Er habe ferner seit 1932 „in der Forschungsgemeinschaft für Deutschtum im Osten volkspolitisch mitgearbeitet“. In der „Systemzeit“ habe er „für den Nationalsozialismus geworben, Nationalisten (sic) unterstützt“ und sich „in Wort und Schrift f[ür] d[ie] gesamte deutsche Sache eingesetzt (Vortrag in Berlin 26.V.1937, wiedergegeben im V[ölkischen] B[eobachter]“.

 

Sedlmayr als ordentlicher Professor an der Universität Wien 1936 bis 1945

Während Hans Sedlmayr 1936 zum Ordinarius der Kunstgeschichte an der Universität Wien aufstieg, wurden eine Reihe von bedeutenden Vertretern der „Wiener Schule“ der Kunstgeschichte „in den 1930er-Jahren systematisch ausgegrenzt oder ins Exil gezwungen“: Einer geschichtlichen Selbstdarstellung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien zufolge gehörten zu diesen „Namen wie Frederik Antal, Ernst Gombrich, Ernst Kris, Otto Kurz, Otto Pächt, Fritz Saxl, Hans Tietze und Johannes Wilde. Hermann Bessemer und Josef Bodony wurden [nach dem „Anschluß“ 1938, Anm. d. Verf.] im KZ ermordet.“ Sedlmayr hatte hingegen weder Probleme, sich mit dem austrofaschistischen Regime zu arrangieren, unter dem er Ordinarius an der Universität Wien wurde, noch galt er als einer derjenigen, die dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch oder distanziert eingestellt seien. Im Gegenteil: Die NSDAP führte ihn offiziell als Parteimitglied seit dem 1. Jänner 1938; den Parteimitgliedsbeitrag habe er seit diesem Datum über den NS-Lehrerbund bezahlt. Nach dem „Anschluß“ fungierte Sedlmayr bei der Vereidigung der Professoren an der Universität Wien als Schriftführer, was deutlich dafürspricht, dass er als loyaler Parteigänger des neuen Regimes galt. Die neu zu vereidigenden Hochschullehrer schworen, „Adolf Hitler treu und gehorsam zu sein“. Berüchtigt ist schließlich Sedlmayrs Widmung in der 1938 erschienenen Festschrift für Wilhelm Pinder, der einer der prominentesten Vertreter der kunsthistorischen Disziplin im „Dritten Reich“ war. Sedlmayr pries darin den „Anschluß“ Österreichs zur selben Zeit, als auf den Straßen Wiens jüdische Menschen verfolgt und erniedrigt wurden, als „Elementarereignis“, „das uns über Nacht die deutsche Einheit gebracht“ habe. Für Pinder könne es „keinen schöneren sechzigsten Geburtstag geben“, schloss Sedlmayr seine euphorische Zueignung. Er unterfertigte diese mit „Heil Hitler“ und versah sie mit der bezeichnenden Datumsangabe „Wien, am Tage des Großdeutschen Reiches, dem 9. April 1938“.

1941 wurde Sedlmayr als „wirkliches Mitglied“ in die Akademie der Wissenschaften in Wien aufgenommen. Der NS-Dozentenbundführer der Universität Wien, Arthur Marchet, vermerkte aus diesem Anlass, dass der Kunsthistoriker als Gelehrter „hochgeschätzt“ und „bei den Studenten und Kollegen sehr beliebt“ sei. Er gab außerdem an, dass Sedlmayr in der „Verbotszeit“ dem NS-Lehrerbund beigetreten sei. Dieser habe „innerhalb des stark verjudeten Wiener ‚Kunstbetriebes‘ (…) immer die völkischen Belange vertreten (…), sowohl wissenschaftlich als auch persönlich“. Erhebungen, die im Zuge der „politischen Beurteilung“ Sedlmayrs durch die NS-Machthaber durchgeführt wurden, ergaben darüber hinaus, dass dieser die NS-Presse lesen würde. In seinem Wohnhaus sei Sedlmayr als „illegaler Pg. [Parteigenosse; Anm. d. Verf.] bekannt“; im Übrigen habe er sich „vor dem 13. März 1938 sehr hervorgetan und gegen die Schuschniggwahl in der Univ[ersität] Propaganda“ gemacht. Mit letzterer Aussage war die vom „ständestaatlichen“ Bundeskanzler Schuschnigg geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs gemeint, die wegen des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Österreich nicht mehr zustande kam.

Angesichts fehlender quellenmäßiger Evidenz ist es zwar kaum möglich, Sedlmayrs politisches Engagement für die österreichische NSDAP in deren „illegaler“ Zeit empirisch nachzuweisen. Aus dem oben Gesagten lässt sich dennoch mit einiger Konsequenz ableiten, dass er bereits vor 1938 ein eifriger Propagandist der „gesamtdeutschen“ Idee gewesen war. Vor allem in den Jahren 1938/39 positionierte sich Sedlmayr auch öffentlich als prononcierter Anhänger des NS-Regimes. Dies zeigte sich einerseits in einigen seiner damaligen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, andererseits in seiner Tätigkeit als Hochschullehrer an der Universität Wien.

Was seine damaligen Publikationen betrifft, ist speziell auf einen Vortrag über die Stadtplanung Wiens hinzuweisen, den er am 7. Februar 1939 im „Deutschen Klub“ hielt und der wenige Tage später im „Völkischen Beobachter“ veröffentlicht wurde. In einem ausführlicheren Aufsatz „Stadtgestaltung und Denkmalschutz“, der sich an seinen Vortrag anschloss und den er im Frühjahr 1939 verfasste, erläuterte Sedlmayr seine Vorstellungen, wie ein künftiges „nationalsozialistisches Wien“ gestaltet werden sollte. Demnach seien gewaltige städtebauliche Veränderungen notwendig, um den Repräsentationsanspruch Wiens im „Dritten Reich“ erfüllen zu können: „Vor der offenen Seite liegt der zweite Bezirk. In seiner Mitte, an Stelle der ehemaligen Judenstadt, könnte zwischen Donaukanal und Donau, zwischen Augarten und Prater ein zweiter Stadtkern, die Neustadt (Hitlerstadt), entstehen.“ Mit diesem großflächigen städteplanerischen Umbau, der den Stephansdom zusammen mit der „Hitlerstadt“ zu den symbolischen Zentren Wiens anvisierte, „würde das nationalsozialistische Wien ebenso geschlossen in Erscheinung treten wie das kaiserliche Wien Franz Josefs in der Ringstraße und das barocke Wien in der inneren Stadt“. Anstelle der „Judenstadt“ würden Gebäude errichtet werden, die der monumentalen Repräsentation von Staat und Partei dienen könnten. „Der Führer selbst“ nehme „an solchen städtebaulichen Fragen tätigen Anteil“. Dies machte es für Sedlmayr umso wahrscheinlicher, „daß einzelne planlose Eingriffe unterbleiben, solange nicht von ihm selbst die ‚Operationslinie‘ festgelegt oder gebilligt ist“. Der Wiener NS-Bürgermeister Hermann Neubacher folgte den Ideen des Kunsthistorikers möglicherweise in einem Vortrag, den dieser „über die künftige Entwicklung Wiens“ hielt. Sedlmayr lieferte damit eine städtebauliche Konzeption, die zwar die erzwungene Emigration der jenseits des Donaukanals lebenden jüdischen Menschen nicht offen thematisierte, diese aber bereits aufgrund der enormen Dimension der geplanten Baumaßnahmen als zwingend erforderlich erscheinen ließ.

Auch als Hochschullehrer fiel Sedlmayr als loyaler, zuweilen sogar militant auftretender Parteigänger der Nationalsozialisten auf. Verschiedene Quellenbelege, die auch in Sedlmayrs Entnazifizierungsverfahren erörtert wurden, deuten darauf hin, dass er selbst im Zuge seiner Lehrtätigkeit die Studierenden dazu aufrief, Regimekritiker der Gestapo zu melden. So gab der damalige Chefexperte der Kunstabteilung des Dorotheums, Dr. Hans Herbst, am 29. Juli 1945 eine eidesstattliche Erklärung zu Protokoll, dass Sedlmayr sich in der NS-Zeit als „Uebernationalist“ gebärdet habe, „der den Boden wissenschaftlicher Objektivität“ verlassen habe, „um eine neue Nazi-Kunstgeschichte zu vertreten.“ In einer Vorlesung an der Universität Wien habe Sedlmayr nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Adolf Hitler im November 1939 alle Anwesenden aufgefordert, sich stehend eine längere Rede anzuhören. Er habe darauf hingewiesen, „welch unendliches Glück dem ganzen deutschen Volk mit der wundersamen Errettung unseres heißgeliebten Führers widerfahren sei“. Demnach habe er die Besucher seiner Vorlesung aufgefordert, „ihn (sic) über jeden Vorfall von Defaitismus oder einer dem Nationalsozialismus feindlichen Gesinnung zu berichten“. Er selbst habe „heute Früh bereits über einen mir bekannten Fall bei der zuständigen Polizeibehörde Meldung erstattet“.

Dass Sedlmayr nach dem „Anschluß“ öffentlich als begeisterter Nationalsozialist auftrat, ist nicht zu bestreiten. Gleichzeitig soll er sich aber – wie etwa auch Heinrich Srbik – in Privatgesprächen vom NS-Regime aus katholisch geprägter Sicht distanziert haben. Der Nationalsozialist und SS-Angehörige Albert Massiczek, der mit Sedlmayr persönlich eng verbunden war, veröffentlichte 1989 einen „Lebensbericht“, in dem er ebenfalls von Sedlmayrs angeblicher Denunziationsaufforderung berichtete. Im Unterschied zu Hans Herbst, der diesen mit November 1939 datierte, gab Massiczek an, dass der Vorfall im „April oder Mai 1943“ stattgefunden habe: „Ich habe Glück, gleich beginnt die Vorlesung Sedlmayrs (…). Der Hörsaal ist gesteckt voll. Dann geschieht etwas für mich Unfaßbares. Sedlmayr fordert die Kommilitonen auf, Defaitisten und Regimekritiker der Gestapo zu melden. Der Taufpate meines ersten Kindes, gewandte Causeur und so gescheite Mensch schließt seine üble Hetzrede mit der Aufforderung an die Hörer, sich zu erheben und in sein dreifaches Siegheil auf den Führer einzustimmen. Alle erheben sich, ein Teil davon aus Angst, jemand könnte Sedlmayrs Appell sofort in die Tat umsetzen.“

Die Aussagen Herbsts und Massiczeks über Sedlmayr sind bislang in der Literatur nicht angezweifelt worden. Hier ist aber zumindest festzuhalten, dass die beiden genannten Zeugen selbst Profiteure des „Dritten Reiches“ waren. So arbeitete Hans Herbst seit 1935 in der Kunstabteilung des Wiener Dorotheums, dessen Chefexperte er vom 3. Mai 1944 bis zu seinem Tod 1982 war. Herbst gehörte weder der NSDAP noch einer anderen NS-Organisation an und es sind von ihm keine nationalsozialistischen oder antisemitischen Äußerungen bekannt. Dies erklärt, warum er nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ als glaubwürdiger Zeuge galt, der gegen Sedlmayr aussagte. Im Kunsthandel des „Dritten Reiches“ hatte Herbst gleichwohl „eine unvergleichbare Sonderstellung“ eingenommen. Er war mit einem persönlichen Sonderauftrag des „Führers“ ausgestattet, Kunstobjekte in westeuropäischen Ländern anzukaufen und wickelte Geschäfte in dem enormen Umfang von mehr als 24 Mio. Reichsmark ab.

Die Glaubwürdigkeit Massiczeks, was die retrospektive Darstellung seines eigenen Lebens insgesamt betrifft, ist stark in Zweifel zu ziehen. Zwischen Massiczeks nachträglichen Behauptungen, wonach er schon 1937 von der NS-Bewegung desillusioniert gewesen sei, und den Tatsachen seiner bis 1945 ungebrochenen Karriere in der Partei, der SS und des SD besteht eine kaum zu verkennende Diskrepanz. Historische „Beweise“ in einem strengen Sinn, die die Denunziationsvorwürfe gegen Sedlmayr belegen könnten, liegen jedenfalls nicht vor. Akten der Gestapoleitstelle Wien oder andere archivalische Quellen, die hierzu möglicherweise Rückschlüsse ziehen hätten lassen, sind bislang nicht bekannt geworden.

Sedlmayr blieb als Forscher auch während des Zweiten Weltkriegs weiterhin produktiv, obgleich er im Laufe des Jahres 1940 eine schwere persönliche Krise durchmachte. In diesem Jahr verstarben nämlich nicht nur seine Eltern, sondern auch seine (erste) Ehefrau. Im Jänner 1942 wurde Sedlmayr in die deutsche Wehrmacht eingezogen, er leistete seinen Kriegsdienst bis Oktober 1943 als Transportoffizier in der Ukraine und in Ungarn. Im Juni 1943 versuchte das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, den „Gelehrten von hohem Rang“ Sedlmayr „unabkömmlich“ stellen zu lassen und diesem damit eine Rückkehr in die akademische Lehre zu ermöglichen. Heinrich Sbrik unterstützte als damaliger Präsident der Akademie der Wissenschaften in Wien ein entsprechendes Gesuch, indem er auf Sedlmayrs „Schrift über die politische Bedeutung des deutschen Barock“ verwies, die „weit über den Raum der Ostmark hinaus zur Darstellung der Gesamtentwicklung des Barock im gesamtdeutschen Raum“ beigetragen habe. Ungeachtet dieser Eingaben musste Sedlmayr seinen Frontdienst fortsetzen und wurde zum Hauptmann befördert. Er erkrankte aber schwer, wurde im November 1943 aus der Wehrmacht entlassen und nahm seine Lehrtätigkeit in Wien wieder auf. Angesichts der katastrophaler werdenden Kriegslage scheint sich Sedlmayr, der während der NS-Zeit weiterhin der katholischen Kirche angehörte, damals zum „strenggläubigen Christen“ gewandelt zu haben. Im Oktober 1944 hielt Sedlmayr an der Wiener Technischen Hochschule einen Vortrag über das „Schicksal der Kunst seit der Französischen Revolution“. Im Lichte der apokalyptischen Dimensionen des „totalen Krieges“ schien das „Fehlen der Mitte“ dabei zeitdiagnostisch nahezuliegen. Nach Auffassung der Kunsthistorikerin Maria Männig wies dieser Vortrag Sedlmayrs en nuce bereits in die Richtung seiner künftigen Bekenntnisschrift „Verlust der Mitte“.

 

Sedlmayrs Entlassung aus dem Staatsdienst und Entnazifizierung

Das Ende des „Dritten Reiches“ bedeutete vorerst einen klaren Bruch in Hans Sedlmayrs akademischer Karriere: Als ehemaliges NSDAP-Mitglied wurde er am 6. Juni 1945 suspendiert, mit Wirkung vom 31. März 1946 „unter Kürzung des Ruhegenusses um 50%“ zwangsemeritiert und einem dreijährigen Berufsverbot unterworfen. Noch am 17. April 1945, also drei Tage nach der Einnahme Wiens durch die sowjetische Armee, hatte sich Sedlmayr nach Aurenhammer in einer opportunistischen Volte „mit einer Denunziation den neuen Verhältnissen anzupassen“ versucht. An diesem Tag informierte er den Dekan, „dass der Mann einer Institutsangestellten schon lange für die Gestapo gearbeitet habe“. Sedlmayr scheint sich darüber klar gewesen zu sein, dass seine Parteimitgliedschaft für ihn nicht ohne juristische und persönliche Folgen bleiben würde. Schon im Frühjahr 1945 soll er – nach späterer eigener Aussage – bei Ludwig Adamovich vorgesprochen haben, der seit dem 1. Mai 1945 als Rektor der Universität Wien amtierte. Diesem habe er mitgeteilt, dass er Nationalsozialist gewesen und bereit sei, die Konsequenzen zu tragen.

Die Sonderkommission I. Instanz des Unterrichtsministeriums in Wien war unter dem Vorsitz von Sektionschef Otto Skrbensky für die Entnazifizierung der Hochschullehrer zuständig. Dieses Gremium beschäftigte sich auch mit dem Fall des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr. Die Kommission holte Zeugenaussagen wie jene – oben zitierte – von Hans Herbst ein, welche das Verhalten Sedlmayrs als Hochschullehrer während der NS-Zeit dokumentieren sollten. In ihrer Entscheidungsfindung, die per 31. März 1946 zur Zwangsemeritierung Sedlmayrs führte, sah es die Sonderkommission als besonders belastend an, dass dieser bei der Beeidigung der Professoren im Jahre 1938 als Schriftführer fungiert habe. Dies sei „eine Verwendung [gewesen], welche eher auf seine Eigenschaft als Illegaler hindeutet“. Den von Sedlmayr eidesstattlich bestätigten Austritt aus der NSDAP nahm die Kommission „im Jahre 1932 als vollzogen“ an, „während die Frage des Wiedereintrittes“ vor oder nach dem 13. März 1938 mangels entsprechender Belege „von der Sonderkommission nicht vollständig geklärt werden konnte“.

Sedlmayr wollte im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens vor allem festgestellt haben, dass er nicht zu den im § 10 des Verbotsgesetzes (1947) genannten Personen gehöre, die nach österreichischem Recht als „Illegale“ galten. Anders als in einer früheren Erklärung vom 11. Mai 1938, nach der er am 1. Jänner 1938 in die NSDAP eingetreten war, gab er nunmehr an, er sei erst nach dem 13. März 1938 der NSDAP beigetreten, habe sich vorher nicht für diese betätigt und sich auch keine Verdienste für die Partei erworben. Das Eintrittsdatum 1. Jänner 1938 sei eine bloß „fingierte“ Rückdatierung gewesen. Dies habe zwar dazu geführt, dass er die „Ostmarkmedaille“ erhalten habe, die im „Dritten Reich“ für Verdienste um die österreichische Anschlussbewegung verliehen wurde. Diese Medaille stelle aber keinen Beweis dafür dar, dass er sich für die NSDAP betätigt habe. Die Einspruchskommission für den 18. Wiener Gemeindebezirk folgte Sedlmayrs Antrag. Sie beschied diesem nach mehreren Rekursen schließlich am 8. Dezember 1949, dass er als „Parteigenosse vom 1.5.1938 bis 1945 zu verzeichnen“ sei. Damit war Sedlmayr offiziell als „minderbelastet“ entnazifiziert und formalrechtlich rehabilitiert worden.

 

Der „Verlust der Mitte“ – konservative Revolution und „Entartung“ der modernen Kunst

Seine Schrift „Verlust der Mitte“ veröffentlichte Hans Sedlmayr 1948 in erster Auflage im Salzburger Otto Müller Verlag. Bis 1960 wurden von diesem Buch, das vielfach den Geist der „konservativen Revolution“ der 1930er Jahre atmete, im deutschsprachigen Raum rund 150.000 Exemplare verkauft, während es etwa in Frankreich kaum Resonanz fand. Als Lektor hatte Sedlmayr den Historiker Taras Borodajkewyz gewonnen, der vom Verlag für diese Arbeit 75.525,- Schilling erhielt. Mit diesem stand Sedlmayr auch in privatem Kontakt. In einem Nachruf auf den 1984 verstorbenen Borodajkewycz bescheinigte Sedlmayr seinem Freund, dass dieser den Studenten auch gegen den Zeitgeist „die Wahrheit über die Geschichte Österreichs“ vermittelt habe. In den 1950er Jahren gehörte Borodajkewyz dem „Ennstaler Kreis“ an, in dem sich regelmäßig Vertreter der ÖVP mit ehemaligen Nationalsozialisten trafen. 1954 schrieb Borodajkewyz an Sedlmayr, dass dieser Kreis „von ‚unserem‘ Geist getragen (…) und ein Gegengewicht gegen Alpbach“ sei. Der Historiker bezog sich dabei auf das Europäische Forum Alpbach, das 1945 als „Österreichische Hochschulwochen“ in der Tiroler Gemeinde Alpbach gegründet worden war. Gegenüber Sedlmayr äußerte sich Borodajkewyz ferner: „Ich glaube, der Menschenkreis würde dir gefallen; viele alte Freunde und Bekannte – in der Hauptsache gute Nazi.“

Sedlmayrs Buch „Verlust der Mitte“ ging auf ein Manuskript zurück, das der Kunsthistoriker 1941 verfasst und seither mehrfach überarbeitet hatte. Wortführer der rechtskonservativen Publizistik wie etwa Alexander Gauland sehen in Sedlmayrs Schrift eine weiterhin relevante Bestandsaufnahme der Entwicklung der Kunst. Sie stufen diese im besten Sinne als unzeitgemäße Betrachtungen in einer säkularisierten Welt ein. Nach Sauerländer äußerte sich Sedlmayr in dem Buch hingegen als „ein Moderner, der die Moderne hasste“. Neben „brillanten Aperçus“ finden sich demnach im „Verlust der Mitte“ „immer wieder ätzende, schneidende, denunzierende Urteile, deren marktschreierischer Tenor der desaströsen Generalthese des Buches geschuldet“ sei.

Bereits in dem berühmt gewordenen „Darmstädter Gespräch“ des Jahres 1950, das sich mit dem „Menschenbild unserer Zeit“ befasste, war Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ Gegenstand kontroverser Debatten. Er selbst stellte bei dieser Tagung seine Thesen zu den „Gefahren der modernen Kunst“ zur Diskussion. Diese „Gefahren“ bestanden in der Deutung des Kunsthistorikers Hans Körner vor allem in dem von Sedlmayr beklagten „Verlust eines Menschenbildes“, „das den Ort des Menschen in der Mitte zwischen Geschichte und überhistorischer Transzendenz, zwischen Materie und Geist, zwischen Bedingtheit und Freiheit ansiedelte“. Sedlmayrs Begriff von einem überhistorisch gültigen „Wesen des Menschen“ konnten andere Tagungsteilnehmer jedoch nicht folgen. So wollte Theodor W. Adorno ein solches „Wesen“ nicht anerkennen, welches er vielmehr als „eine abhängige Variable seiner historischen ökonomischen Situation“ definierte. Sedlmayr sah daher selbst keinen gemeinsamen Wahrheitsbegriff vorliegen. Zurufen aus dem Publikum wie „Heil Hitler!“ oder „Pfui“, die sich auf sein Referat und wohl auch auf seine NS-Vergangenheit bezogen, entgegnete der Angegriffene mit der apodiktischen Feststellung, „dass ich die gleichen Dinge vor und unter Hitler vorgetragen habe, genau so, mit dem gleichen Bekenntnis zu der Macht des Geistes und ohne die geringste Konzession“.

Adorno stellte sich dezidiert gegen Sedlmayrs Buch „Verlust der Mitte“ und bekannte sich im Unterschied zu dem Kunsthistoriker auch ausdrücklich zur modernen Kunst, und zwar in ihrer „extremen Gestalt“. Der Philosoph der „Frankfurter Schule“ kritisierte damit die negativistische Auffassung, die Sedlmayr bezüglich der „Moderne“ vertrat. Auch die österreichische Kunsthistorikerin Hilde Zaloscer sah Sedlmayr mit deutlichem Vorbehalt. Sedlmayrs Analysen erwiesen aus ihrer Sicht die moderne Kunst als das, „zu dem sie der Nationalsozialismus auf primitivere, grobschlächtigere Weise gestempelt“ habe, als „‚entartete‘“ Kunst.

Für den Zeithistoriker Ernst Hanisch bildete „das barocke Gesamtkunstwerk“ einen zentralen, wenn auch indirekten Bezugspunkt von Sedlmayrs Darstellung. Sein Angriff auf die Moderne sei mit einer „religiösen katholischen Grundhaltung“ verknüpft gewesen; „ein gestörtes Gottesverhältnis“ sei für den Kunsthistoriker, der in seinem Buch den Nationalsozialismus und dessen Schändung der Würde des Menschen negiert habe, „Kern der Krankheit“ gewesen. Dieses Leiden sei für Sedlmayr in der „Dehumanisierung, Anorganisierung und Chaotisierung der modernen Kunst“ zum Ausdruck gekommen. Gert Kerschbaumer erkannte im „Verlust der Mitte“ ein sublimiertes Weiterwirken des „Bannbegriffs“ der „Entartung“: Dieser sei „bei Sedlmayr durch diverse unbelastete Synonyme wie Antikunst substituiert, aber auch in einer modifizierten Form wie extremste Ausartungen präsent. Die Negativbilder Chaos, Verfall, Anarchie und Dämonie sind aus ein und demselben Arsenal gegriffen.“

Hans H. Aurenhammer konstatierte ebenfalls die politische Aufladung von Begriffen wie „Ordnungsmacht“, „Mitte“ und „Aufgabe“ durch Sedlmayr. Demnach vermied es der Kunsthistoriker in der NS-Zeit, zum zentralen Terminus der „Gestalt“ die emigrierten Vertreter der „Berliner Schule“ zu zitieren. In diesem Zusammenhang habe er lediglich Ferdinand Weinhandl genannt, „der im ‚Führer‘ die Gestalt und Physiognomie des Ganzen sehen wollte“. Aurenhammer stellte fest, dass Sedlmayrs „Parameter für historische Kunst – Rolle der Architektur, Gesamtkunstwerk, Bedeutung für die Gemeinschaft“ dem entsprachen, was etwa Wilhelm Pinder als Ideal „für eine zukünftige NS-Kunst“ beschrieben hatte. Angesichts solcher Überlegungen fällt die Bilanz von Maria Männig ernüchternd aus: Sedlmayr habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Kunstgeschichte „bis in die 1980er Jahre hinein gegenüber der zeitgenössischen Kunst weitestgehend immun bleiben“ konnte. „Sedlmayrs Systematik der Kunsthistoriografie der Moderne“ habe diese „bis heute“ „subkutan“ geprägt.

 

Neubeginn der akademischen Karriere: Sedlmayr zwischen Wien, München und Salzburg

Nachdem sein Entnazifizierungsverfahren 1949 in Österreich abgeschlossen worden war, eröffneten sich für Sedlmayr verhältnismäßig rasch neue berufliche Perspektiven. Das Bayerische Kultusministerium berief ihn bereits am 16. April 1951 auf eine Professur für Kunstgeschichte an der Universität München. Dagegen erhob sich Widerstand, der folgenlos blieb. Einer der damaligen Münchner Studenten, die sich gegen die Berufung Sedlmayrs wandten, war Willibald Sauerländer. Aus seiner damaligen Sicht schien der Wiener Kunsthistoriker „eine ferne, doch sehr präsente Figur“ zu sein. Bereits auf dem Münchner Kunsthistorikertag 1949 sei Sedlmayr „mit Aplomb und unbestreitbarer Brillanz gegen Werner Haftmann aufgetreten, und wir hatten ihn dabei beobachtet. Der Österreicher führte eine polemische Sprache [und] entfaltete ein dogmatisches Pathos, die in dem behüteten Binnenraum der Münchner Nachkriegskunstgeschichte fremd klangen.“

In München war Sedlmayrs NS-Vergangenheit zwar bekannt, das Klima gegenüber ehemaligen Parteigängern der NSDAP hatte sich jedoch auch dort bereits deutlich gemildert. Dies bedeutete nicht, dass das „berüchtigte Vorwort zur Festschrift Wilhelm Pinder vom 9. April 1938“ nicht „in aller Munde und in jeder Bibliothek greifbar“ gewesen sei. Gegen die Berufung Sedlmayrs traten der sozialdemokratische Staatssekretär im Kultusministerium Eduard Brenner, einige Kunsthistoriker, die „alle Distanz zum Dritten Reich gehalten hatten“, sowie Studierende auf. Der Protest der Hochschullehrer schlug sich etwas verspätet in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 28. Mai 1951 nieder, nachdem Sedlmayr bereits seine Antrittsvorlesung gehalten hatte. Darin hieß es u. a., dass Sedlmayr „immer wieder seinen Standpunkt“ gewechselt habe. Er habe „seine Fähigkeiten auf eine Weise in den Dienst der Stunde“ gestellt, „die eine vom echten Wissenschaftler zu fordernde feste Grundhaltung vermissen“ lasse; sein Buch „Die Entstehung der Kathedrale“ verfüge über keine solide wissenschaftliche Basis. Als Resümee hielt Sauerländer in seinem Rückblick fest, dass der Münchner Protest gegen Sedlmayr sowohl praktisch, als auch theoretisch gescheitert sei. In seiner „Auseinandersetzung mit unschuldigen Positivisten, Phänomenologen und jugendlichen Gläubigen“ habe dieser vielmehr „leichtes Spiel“ gehabt. Seine Vorlesungen im größten Hörsaal der Münchner Universität zogen ein fasziniertes Publikum an. Im Fach sei er „geächtet“ gewesen, „dessen brillantester Kopf“ er zugleich gewesen sei. „Jene, die ihm wirklich hätten Paroli bieten können – wie etwa Ernst H. Gombrich“ –, seien aus dem Land vertrieben worden und „hätten auch keine Lust“ gehabt, „sich mit dem Nazi von gestern einzulassen“.

Anfang der 1960er Jahre sollte Sedlmayr mit politischer Rückendeckung von Unterrichtsminister Dr. Heinrich Drimmel (ÖVP) wieder an seine frühere Wirkungsstätte, die Universität Wien, berufen werden. Zu seinen Förderern zählte auch Dr. Josef Klaus, der damalige Salzburger Landeshauptmann. Dieser brachte nicht nur seine „große Freude“ darüber zum Ausdruck, dass Sedlmayrs Name „an erster Stelle“ der Wiener Berufungsliste stehe, sondern er bat in nahezu devoter Wortwahl den Kunsthistoriker um dessen „Wohlwollen unseren Salzburger Aufgaben gegenüber, die immer diffizil bleiben werden“. Im Herbst 1961 lehnte Sedlmayr einen Ruf an seine frühere Wirkungsstätte allerdings ab, nachdem sich „die gesamte Kunsthistorikerschaft in Wien – bis auf eine Ausnahme – gegen seine Berufung an die Universität Wien erhoben hatte“.

Karl Maria Swoboda, dessen Nachfolge damals in Wien geregelt werden sollte, war selbst 1946 der Nachfolger Sedlmayrs gewesen, der 1945 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden war. Swoboda agitierte mit dem Argument, dass sein nunmehriger Münchner Kollege sich zu sehr der kunstwissenschaftlichen Richtung zugewandt habe, gegen dessen Berufung nach Wien. Sedlmayrs NS-Belastung bildete zunächst auch deshalb keinen Gegenstand der Verhandlungen, weil der Berufungskommission ehemalige NSDAP-Mitglieder wie der Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann oder der Germanist Otto Höfler angehörten. Erst als Minister Drimmel im Herbst 1960 Verhandlungen mit Sedlmayr und dem für die zweite Professur für Kunstgeschichte vorgesehenen Otto Demus aufnahm, regte sich Widerstand, wobei auch Sedlmayrs NS-Vergangenheit thematisiert wurde. So trat Demus mit der Begründung von den Verhandlungen mit dem Ministerium zurück, dass er sich die Leitung des Instituts nicht mit einem Kollegen teilen wolle, der von vielen Fachleuten im In- und Ausland abgelehnt werde. Daraufhin drohte eine Reihe weiterer Wiener Kunsthistoriker, ihre Lehrveranstaltungen abzusagen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Sedlmayrs Widmung seines Festschrift-Aufsatzes für Wilhelm Pinder, den dieser am 9. April 1938 mit „Heil Hitler“ beschlossen hatte, spielte auch in diesem Konflikt eine Rolle. Fritz Novotny, der Direktor der Österreichischen Galerie, zitierte wörtlich aus ihr.

Ob Sedlmayr im Herbst 1961 der Universität Wien absagte, weil der Druck seiner Gegner zu groß geworden war, oder weil die Münchner Universität ihn unbedingt halten wollte und entsprechend intervenierte, bleibt indes unklar. Sedlmayrs Widersachern unter den Kunsthistorikern dürfte jedenfalls bewusst gewesen sein, dass ihr Kollege in einem spezifischen politisch-ideologischen Umfeld besonders hoch angesehen war. So beteiligte sich 1962 an einer zu Ehren Sedlmayrs erschienenen Festschrift als Ko-Autoren eine Reihe von Professoren, die eine betont deutschnationale Orientierung aufwiesen: Unter diesen finden sich Taras Borodajkewycz und der Germanist Otto Höfler von den Wiener Kollegen Sedlmayrs, aber auch der 1945 wegen seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten von seiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien enthobene Historiker Otto Brunner, der 1954 an die Universität Hamburg berufen worden war. Sedlmayrs Schüler Mohammed Rassem, der später an der Universität Salzburg die Fachrichtung der Kultursoziologie begründen sollte, fungierte als einer der beiden Herausgeber dieser Festschrift.

An der im Aufbau begriffenen Universität Salzburg war Hans Sedlmayr jedenfalls willkommen, erkennbaren Widerstand gegen ihn gab es nicht. Die Berufung des prominenten Kunsthistorikers, „der großmütterlicherseits aus Reichenhall“ stammte und sich mit Salzburg „durch viele Fäden verbunden“ fühlte, wurde sogar euphorisch als „ein Riesengeschenk für Salzburgs studierende Jugend“ bezeichnet. Zudem wurde kolportiert, dass „die Wiener Einwände gegen ihn (NS) (…) längst überholt“ seien. Zu dieser Einschätzung der Person des Kunsthistorikers dürfte beigetragen haben, dass Sedlmayr sich im „Schoß der Kirche“ die „Absolution für seine Zugehörigkeit zum grausamsten Verbrecherregime“ geholt hatte. Von den 1963/64 an der Philosophischen Fakultät der Universität Salzburg tätigen Professoren hatten die meisten mehr oder weniger offen gezeigte „katholisierende“ Neigungen. Gerade deshalb dürften sie den Ruf des angeblich „geläuterten“ Sedlmayr nach Salzburg unterstützt haben.

Im Jahr 1964 folgte Hans Sedlmayr tatsächlich einem Ruf nach Salzburg, wo er bis 1969 als Gast- und Honorarprofessor wirkte und sich Verdienste um den Aufbau des Kunsthistorischen Instituts erwarb. Die an der Salzburger Universität feststellbare Stimmungslage glich auch weiterhin einer unkritischen Huldigung Sedlmayrs. Diese Haltung spiegelte sich auch in der „Rede zum 70. Geburtstag von Hans Sedlmayr“, welche Mohammed Rassem am 18. Jänner 1966 an der Universität Salzburg hielt. In seiner Laudatio nannte Rassem den zu Ehrenden eine Person, die sich „unter machtvollen Konjunktionen“ wechselnder Zeitläufte „ruhmvoll behauptet“ habe. Dass Sedlmayr nach 1945 wegen seiner Vergangenheit als Nationalsozialist von seinen Ämtern entfernt worden war, deutete Rassem damals nur höchst kryptisch an, wenn er vieldeutig vom „Ende jener schweren Nachkriegsphase“ sprach, die er für das Jahr 1950 datierte, als Sedlmayr unmittelbar vor seinem Ruf nach München stand. Umso mehr bildeten die 1930er und 1940er Jahre eine unleugbare semantische Leerstelle in dieser Laudatio, die angesichts der damaligen politischen Positionierungen Sedlmayrs zumindest dem heutigen Leser bzw. der heutigen Leserin als besonders augenfällig erscheint.

Als Honorarprofessor entfaltete Sedlmayr eine rege Publikationstätigkeit, die ihm auch außerhalb der Universität Salzburg ein hohes Renommee sicherte („Die demolierte Schönheit: Ein Aufruf zur Rettung der Altstadt Salzburgs“, 1965; „Stadt ohne Landschaft – Salzburgs Schicksal morgen?“, 1970). Nach Maria Männig hatten die Schriften Sedlmayrs, die sich dem Schutz der Salzburger Altstadt verschrieben, „Manifestcharakter“ und bildeten „eine Keimzelle der österreichischen Grünen Bewegung“. Mit seiner „völkisch inspirierte[n] Kulturkritik“ gab der Kunsthistoriker der jungen „Bürgerliste“ Argumentationshilfen, die 1977 erstmals mit zwei Sitzen im Salzburger Gemeinderat vertreten war. Die Novellierung des Salzburger Altstadterhaltungsgesetzes und die Ausweitung landschaftlicher Schutzzonen sind damit auch mit dem damaligen publizistischen Wirken Sedlmayrs verbunden.

Im Jahr 1972 wurde Sedlmayr auf Antrag der Philosophischen Fakultät das Ehrendoktorat der Universität Salzburg ausdrücklich deswegen verliehen, weil dieser „ein Gelehrter von höchstem internationalem Ansehen“ sei. Sedlmayr habe das Kunsthistorische Institut der Universität Salzburg „mit größter Sachkenntnis und Umsicht und mit wahrhaft jugendlichem Elan neu aufgebaut (…). Sein Name verlieh der jungen Universität Glanz.“

Als der Gelehrte am 9. Juli 1984 in Salzburg starb, stellte Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. fest, dass Salzburg mit ihm nicht nur einen bedeutenden Kunsthistoriker verloren habe, „sondern auch einen unbestechlichen Mahner und Kämpfer für die Erhaltung von Salzburgs Schönheit“. Seine Schüler wandten sich gegen Bestrebungen, Sedlmayrs wissenschaftliche Position posthum „als sozusagen verspätet ‚faschistisch‘ zu denunzieren“.

 

Schlussbemerkungen

Der vorliegende Artikel beansprucht nicht, darüber zu befinden, ob Hans Sedlmayr tatsächlich zu den wenigen genuin „faschistischen Intellektuellen von hohen Graden“ zu rechnen ist, wie es der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer nachdrücklich zu postulieren versucht hat. Sedlmayr selbst sah nie einen Grund dafür, seine kunstwissenschaftlichen Positionierungen relativieren oder gar zurücknehmen zu müssen. Er verstand es vielmehr geschickt, die von ihm vertretene Spielart eines „abendländischen“ Katholizismus und die Betonung des „Reichsstils“ in der Kunstgeschichte vor, während und nach dem „Dritten Reich“ mit den jeweils vorherrschenden ideologischen Strömungen so zu verknüpfen, dass seine wissenschaftliche Position als durchgehend konsistent erschien. Der „katholisch-national“ gesinnte Großdeutsche Sedlmayr trat im „Dritten Reich“ zwar nicht in einem engeren Sinne als Propagandist einer „Rassen-“ und „Stammeslehre“ im Bereich der Kunstgeschichte hervor. Seine Verehrung für den „Führer“ Adolf Hitler und sein Einsatz für das NS-Regime lassen sich ungeachtet dessen auf mehreren Ebenen nachweisen:

Sedlmayr hat seine Position als Universitätsprofessor vor allem 1938/39 dazu instrumentalisiert, sich offensiv den NS-Machthabern anzubiedern. Dies bezieht sich auf seine Widmung in der Festschrift für Wilhelm Pinder (1938), die er mit einem „Heil Hitler“ schloss, auf einen Artikel „Stadtgestaltung und Denkmalschutz“ sowie einen Vortrag über die Stadtplanung in Wien, der 1939 im „Völkischen Beobachter“ publiziert wurde, aber auch auf Aufrufe zur Denunziation von Regimegegnern und „Defaitisten“ im Rahmen zumindest einer Vorlesung, die Sedlmayr an der Universität Wien hielt. In seinen Ausführungen zur Wiener Stadtplanung suchte sich der Kunsthistoriker offenbar als Ideengeber zur Umgestaltung Wiens im Sinne des NS-Regimes zu profilieren, wobei er sich direkt auf den „Führer“ Adolf Hitler berief. Zwar ist die Frage, ob Sedlmayr die damaligen Planungen tatsächlich in irgendeiner Weise beeinflusste, vorerst nicht zu beantworten. Es musste ihm aber bewusst gewesen sein, dass die vorwiegend jüdische Bevölkerung der Wiener Leopoldstadt im Zuge der planerischen Vorhaben, an die Stelle der – von ihm so bezeichneten – „Judenstadt“ eine „Hitlerstadt“ zu setzen, deportiert werden musste. Sedlmayrs Formulierungen legen zumindest die Vermutung nahe, dass er die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung dieses Wiener Bezirks billigend in Kauf nahm. Die ferner zu erörternde Frage, ob Sedlmayr im „Dritten Reich“ selbst einen oder mehrere vermeintliche Gegner des NS-Regimes bei der Geheimen Staatspolizei denunziert hat, ist mangels quellenmäßig nachweisbarer Evidenz nicht zu klären. Die Motive der Zeugen, die nach 1945 davon berichteten, dass Sedlmayr in einer seiner Vorlesungen an der Universität Wien dazu aufgerufen habe, ihm selbst entsprechende Personen zu melden, bleiben weitestgehend unklar. Deren Wahrheitsgehalt wird in der Forschungsliteratur zu Sedlmayr allerdings bislang nicht bestritten.

Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ schadete Sedlmayr vor allem der Umstand, dass er NSDAP-Mitglied gewesen war. Dieser hatte er in den Jahren 1930 bis 1932 und dann wieder 1938 bis 1945 angehört. Im Zuge der Entnazifizierung wurde er 1945 als ordentlicher Professor an der Universität Wien entlassen, und er erhielt ein Publikationsverbot. Während seine Berufung auf einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität München 1951 auf Widerstände innerhalb der Universität stieß, die letztlich erfolglos blieben, scheiterte seine politisch gedeckte Berufung an die Universität Wien 1961 an der öffentlich artikulierten Gegnerschaft von einigen seiner damaligen Wiener Fachkollegen.

An seinem einflussreichen Hauptwerk „Verlust der Mitte“ arbeitete Sedlmayr während der NS-Zeit, er veröffentlichte es 1949 im Salzburger Otto Müller Verlag. Dieses Buch bildete zwar die erste umfassende Auseinandersetzung mit der Moderne innerhalb der kunstgeschichtlichen Disziplin nach 1945, es verzögerte aber zugleich deren Rezeption zumindest bis in die 1980er Jahre. Sedlmayr selbst verstand die moderne Kunst als eine fundamentale Abirrung von einem „ganzheitlich“ verstandenen Weg der Kunst. Dem Werk wird damals wie heute eine Affinität zu den Denkmustern der „entarteten Kunst“ der Nationalsozialisten zugeschrieben. Mit dem „Verlust der Mitte“ avancierte der Kunsthistoriker in den 1950er Jahren zu einem rechtskonservativen „Starintellektuellen“, der mit Repräsentanten der ehemaligen „Katholisch-Nationalen“ wie Taras Borodajkewycz weiterhin engen Kontakt hielt. In den 1960er Jahren war Sedlmayr als Gast- und Honorarprofessor in Salzburg hoch willkommen und er konnte das Kunsthistorische Institut der 1962 dort neu gegründeten Universität erfolgreich aufbauen. Seine Verdienste für die Bewegung zur Erhaltung der Salzburger Altstadt in den 1960er und 1970er Jahren sind unbestritten. Zu der umstrittenen Frage, wie er sich im „Dritten Reich“ als Kunsthistoriker und Hochschullehrer verhalten hatte, äußerte er sich nach dem Abschluss der Entnazifizierung nie öffentlich. Bereits beim „Darmstädter Gespräch“ 1950 betonte er im Gegenteil, dass er vor und nach der NS-Herrschaft derselben wissenschaftlichen Linie treu geblieben sei. Nicht zuletzt diese Aussage Sedlmayrs verdunkelt das Bild dieses bedeutenden, wenngleich in unterschiedlichen politischen Systemen politisierten und politisch aktiven Kunsthistorikers bis heute in hohem Maße.

 

Straßenbenennung

Ende der 1970er Jahre und damit noch zu Lebzeiten von Hans Sedlmayr versuchte die Salzburger Bürgerliste wiederholt öffentliche Ehrungen für ihren ideologischen Vordenker und Mitstreiter zu erreichen. Anfang Jänner 1979 beantragte Gemeinderat Herbert Fux die Ehrenbürgerschaft für Sedlmayr, der sich „um die Erhaltung der Altstadt und der Stadtlandschaft von Salzburg hervorragende Verdienste erworben“ habe. „Mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde kann die Stadt ohnedies nur einen kleinen Teil jenes Dankes abstatten, der ihm für seinen selbstlosen Einsatz zum Wohle Salzburgs gebührt“, so Fux. Nachdem der Antrag über ein halbes Jahr nicht auf die Tagesordnung des Gemeinderates gesetzt worden war, urgierte Fux bei Magistratsdirektor Dr. Herbert Meister, woraufhin Bürgermeister Heinrich Salfenauer (SPÖ) ausführlich im Gemeinderat antwortete. Laut Salfenauer bestehe „bereits seit mehreren Jahren die Absicht“, Sedlmayrs Wirken „in geeigneter Form zu würdigen“. Diese Anerkennung bestand schlussendlich nicht in der Verleihung der Ehrenbürgerschaft, sondern in der Zuerkennung des Wissenschaftspreises des Kulturfonds der Landeshauptstadt Salzburg, der sich „gerade international besonders großer Wertschätzung“ erfreue, so Salfenauer. Für wenige Monate kehrte daraufhin Ruhe ein, Heinrich Salfenauer übergab das Bürgermeisteramt an seinem 60. Geburtstag am 11. September 1980 an Dipl.-Ing. Josef Reschen (SPÖ). Vier Monate später richtete Herbert Fux an Reschen den Antrag, anlässlich von Hans Sedlmayrs 85. Geburtstag am 18. Jänner 1981 den „Freisaalweg“ in „Hans-Sedlmayr-Weg“ umzubenennen. Der Antrag wurde am 20. Februar 1981 im Gemeinderat gestellt und zur Bearbeitung an das Kulturamt weitergeleitet, das im März 1981 empfahl, sich „an das Übereinkommen“ zu halten, „Verkehrsflächen in der Stadt Salzburg nicht nach noch lebenden Personen zu benennen“. Von diesem Prinzip sollte nicht abgegangen werden, „da die Beispielsfolgerungen zu ungeahnten Schwierigkeiten führen würden“. Dieser Meinung folgte das Stadtratskollegium in seiner Sitzung vom 23. März 1981 und ergänzte, daß Flurnamen wie Freisaal nicht beseitigt werden sollten. Ein entsprechender Amtsbericht der Kulturabteilung empfahl dem Gemeinderat die Ablehnung der Umbenennung. Mitte Mai 1984 schlug ein Amtsbericht der Kulturabteilung die Benennung der „Pirolstraße“ in Langwied und die Aufschließungsstraßen der neu verbauten Rosittengründe in der Riedenburg vor. Noch bevor dieser Amtsbericht in den politischen Gremien behandelt wurde, verstarb im Juli Hans Sedlmayr in Salzburg. Neun Tage später verließ nun ein „Ergänzender Amtsbericht“ die Kulturabteilung, in dem ausgeführt wurde, dass „Bürgermeister Dipl.-Ing. Josef Reschen (…) auf Grund des Ablebens von Prof. Hans Sedlmayr vorgeschlagen [hat], dieser um die Erhaltung des Salzburger Stadtbildes so verdienten Persönlichkeit, durch die Benennung einer Straße, bzw. eines Weges, eine gebührende Ehrung zuteil werden zu lassen. Nach Auffassung des Amtes wäre dazu der von der Kreuzung Fürstenalllee/Sinnhubstraße am sogenannten Henkerhäuschen vorbeiführende und bis zum Schartentor verlaufende Weg am besten geeignet.“ Mit dem Grundeigentümer St. Peter wäre bereits das Einvernehmen gefunden. Der Stadtsenat stimmte dem Antrag der Benennung des „Hans-Sedlmayr-Weges“ in seiner Sitzung vom 23. Juli einstimmig zu, ebenso der Gemeinderat (10 SPÖ, 9 ÖVP, 2 BL, 5 FPÖ) am 24. Juli 1984.