Das weitere Schicksal der jüdischen Bevölkerung Salzburgs

Die Novemberpogrome 1938 – entfesselte Gewalt

Nachdem Anfang November 1938 der junge Jude Herschel Grynszpan in Paris den deutschen Botschaftsgesandten Ernst von Rath ermordet hatte, nutzte die NS-Führung seine Verzweiflungstat als Vorwand, um gewalttätige Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung im gesamten „Reichsgebiet“ in Gang zu setzen. Sprach man dabei auch vom „spontanen“ und „gerechten Volkszorn“, handelte es sich in Wahrheit um geplante und koordinierte Gewaltakte, die vorwiegend von lokalen SA- und SS-Trupps ausgeführt wurden. Während dieser Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – von der NS-Propaganda aufgrund der unzähligen eingeschlagenen Fensterscheiben zynisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet – wurden im gesamten "Dritten Reich" über 90 Menschen getötet, hunderte wurden in den Selbstmord getrieben.

In Salzburg wurden die Scheiben und das Mobiliar der Synagoge, die nur wegen der dichten Bebauung ringsherum nicht in Brand gesetzt wurde, zerstört. Hinzu kam die Zerstörung etlicher jüdischer Geschäfte. Über 60 jüdische Männer wurden verhaftet und teilweise ins KZ Dachau überstellt. Die noch in Stadt und Land Salzburg lebenden – und verängstigten – Juden und Jüdinnen wurden aufgefordert, Salzburg sofort zu verlassen. Wem noch die Flucht gelang, der musste seinen Besitz zurücklassen und zumeist mittellos einen Neuanfang in einem fremden Land wagen. Wer Salzburg nicht verlassen konnte oder wollte, geriet in die Maschinerie von zunehmend radikalerer Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung.

Zwangsübersiedelung nach Wien, Deportation und Ermordung

Nach den Novemberpogromen wurden Juden und Jüdinnen der „Ostmark“, die bis dahin nicht emigriert waren oder fliehen konnten, gezwungen nach Wien, zumeist in so genannte „Sammelwohnungen“ in 2. Bezirk, zu übersiedeln. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 war es ihnen schließlich kaum mehr möglich, das Gebiet des „Dritten Reiches“ zu verlassen. Oberstes Ziel der von Adolf Eichmann geleiteten Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien war nun nicht mehr die Beraubung und Vertreibung, sondern die Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Ab dem 15. Februar 1941 wurden insgesamt an die 50.000 Jüdinnen und Juden in 45 Transporten über den Wiener Aspang-Bahnhof in Vernichtungslager im Osten deportiert: oftmals über Theresienstadt nach Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Belzec, Majdanek, Chelmo, Maly Trostinec und an andere Tötungsorte. Insgesamt wurden rund 65.000 österreichische Juden und Jüdinnen im Holocaust ermordet.

In den Deportationszügen befanden sich auch Juden und Jüdinnen aus Salzburg. Angeführt seien hier nur wenige Beispiele, die für das Schicksal vieler stehen: Das aus Salzburg vertriebene Ehepaar Arthur und Irma Bondy etwa, das seit Mai 1939 in Wien gelebt hatte, wurde mit dem zwölften Transport am 28. November 1941 von Wien nach Minsk deportiert und dort ermordet. Arthur Bondy war 64, seine Frau Irma 54 Jahre alt. Arthurs Bruder Otto Bondy wurde am 14. Juli 1942 von Wien nach Theresienstadt und am 21. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt, dort 69-jährig ermordet.

Die Salzburger Jüdin Anna Pollak wiederum war Inhaberin einer „Wäsche- und Wirkwarenhandlung“. Nachdem ihr Geschäft im Zuge der Novemberpogrome von SA-Leuten verwüstet und geplündert worden war, musste sie noch im November 1938 in eine „Sammelwohnung“ nach Wien übersiedeln. Im Alter von 68 Jahren wurde sie am 28. Juli 1942 – zusammen mit der ebenfalls aus Salzburg vertriebenen Amalie Rosenfeld – nach Theresienstadt und am 21. September 1942 nach Treblinka deportiert und dort ermordet.

Der einstige Inhaber des Salzburger Schuhhauses „Del-Ka“, Hugo Singer flüchtete im November 1938 mit seiner Frau Paula und seinem Sohn Egon über Wien zu Verwandten in die damals noch freie Tschechoslowakei – ab März 1939 „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“. Die Familie wohnte zuletzt in Prag, von wo sie am 12. Mai 1942 nach Theresienstadt und schon nach wenigen Tagen, am 17. Mai, nach Majdanek deportiert wurde. Hugo Singer wurde dort im Alter von 46 Jahren, Paula Singer im Alter von 48 und Egon im Alter von 15 Jahren ermordet.

Das Kunstprojekt von Gunter Demnig "Stolpersteine Salzburg" erinnert an die Namen und Kurzbiografien aller bisher von Historiker Gert Kerschbaumer recherchierten Juden und Jüdinnen aus Salzburg, die der Shoah zum Opfer fielen (aktueller Stand 109 Biografien).

​​​​​​​Überleben in Salzburg

Bereits im November 1938 verkündete Gauleiter Friedrich Rainer, Salzburg sei „judenrein“. Allerdings entsprach dies nie der Realität – bis Kriegsende lebten in Salzburg nachweislich einzelne Personen, die während der NS-Herrschaft als „jüdisch“ klassifiziert worden waren.

Möglich hier zu bleiben und sich und ihre Kinder vor dem sicheren Tod zu bewahren, war es im Wesentlichen nur Jüdinnen und Juden, die mit „Ariern“ verheiratet waren, die also in so genannten „Mischehen“ lebten. Unabdingbare Voraussetzung für ihr Überleben war, dass sich der „arische“ Teil – oft großem Druck von außen zum Trotz – nicht scheiden ließ, nur so konnte die Schutzfunktion erhalten bleiben. Die jüdischen Ehepartner standen dabei unter ständiger Beobachtung und wurden von ihrer Nachbarschaft meist gemieden.

Noch wenig erforscht ist die Frage, wie viele in Verstecken als so genannte „U-Boote“ die NS-Zeit überleben konnten. Ohne die Hilfe von Menschen, die bereit waren, sich selbst in große Gefahr zu begeben, wäre eine Rettung unmöglich gewesen. Wer Juden und Jüdinnen mit Lebensmitteln, Kleidung oder einer Unterkunft bzw. einem Versteck unterstützte, riskierte eine Gefängnisstrafe bis hin zur Einweisung in ein Konzentrationslager.

Beispiele:

Bezeichnend hierfür ist etwa das Schicksal der 1910 im bayerischen Laufen geborenen Malerin Irma Rafaela Toledo. Sie heiratete 1931 den nichtjüdischen Franz Schmeisser und führte mit ihm in Freilassing ein Geschäft. Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 zog das Ehepaar mit den Kindern nach Salzburg. Ab 1938 waren sie infolge des "Anschlusses" jedoch erneut bedroht. Franz Schmeisser meldete sich freiwillig zur Wehrmacht, um einer zwangsweisen Dienstverpflichtung an der Ostfront zu entgehen, wurde allerdings aufgrund von Untauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen bald wieder entlassen. Zurück in Salzburg wurde er mehrfach aufgefordert, sich von seiner „nichtarischen“ Frau scheiden zu lassen. Nach seiner beharrlichen Weigerung wurde er zur Strafarbeit in das Arbeitslager Gera gebracht. Irma Rafaela Toledo selbst lebte von da in Todesangst. Zudem wurde sie ebenfalls zu Zwangsarbeit verpflichtet und musste Uniformen nähen. 1944 sollte sie schließlich von der Gestapo deportiert werden, sie konnte jedoch mit ihrer ganzen Familie bei einem Bauern auf dem Schlenken (Rengerberg) unterkommen.  Die Angst vor der Gestapo hielt auch dort an, aber die Familie wurde von niemandem denunziert und Irma Toledo konnte – im Gegensatz zu vielen ihrer Verwandten, die im Holocaust umkamen – überleben. Nach dem Krieg begann sie zu malen – 1951 wurden erstmals Bilder von ihr im Künstlerhaus Salzburg ausgestellt, 1952 fand sie Aufnahme in die "Salzburger Gruppe".

Ebenso stellt das Beispiel von Balthasar Linsinger, Pfarrer von Großarl im Pongau, eine dezidierte Ausnahme dar. Ab 1944 beherbergte er die fünfköpfige Familie des Kunstmalers Eduard Bäumer und seiner Ehefrau Valerie, die 1933 von Frankfurt am Main nach Salzburg geflohen war, in seinem Pfarrhaus und gab sie als Ausgebombte aus Wien aus. 2011 nahm Yad Vashem, die nationale Holocaustgedenkstätte Israels, den Geistlichen als Lebensretter in ihre Liste der "Gerechten unter den Völkern" auf.

In der Stadt Salzburg gelang es wiederum dem Priester Franz Zeiss zum Katholizismus konvertierte Juden und Jüdinnen, die sich auf der Flucht befanden, vor Verfolgung zu schützen, bei vertrauenswürdigen Familien unterzubringen und zu verstecken. Im Juli 1942 taufte er etwa auch die als „Halbjüdin“ bedrohte Olga Zweig, Cousine des Schriftstellers Stefan Zweig. Sie wiederum hielt ein jüdisches Pflegekind bei sich versteckt, das ohne ihre Hilfe aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung in zweifachem Sinn der Ermordung durch die Nationalsozialisten zum Opfer gefallen wäre. Trotz ihrer Tarnung als Katholikin wurde Olga Zweig selbst im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert, überlebte aber und konnte nach ihrer Befreiung zu ihrem Pflegekind zurückkehren. Das Beispiel der beiden ist eine der wenigen dokumentierten Fälle für verstecktes Überleben in Salzburg.

    Literaturempfehlung
    • Daniela Ellmauer / Helga Embacher / Albert Lichtblau (Hg.), Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen, Salzburg / Wien 1998.
    • Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38–66.
    • Johannes Hofinger, Nationalsozialismus in Salzburg: Opfer. Täter. Gegner, Innsbruck 2016.