Vergewaltigung verurteilen: Ein „Nein“ muss genügen!
9:1 – das ist kein Sport-Resultat, sondern das Verhältnis von Anzeigen zu Verurteilungen bei Vergewaltigung in Österreich. 920 Anzeigen wegen Vergewaltigung im Jahr 2013 stehen 104 Verurteilungen gegenüber. Die meisten Sexualdelikte werden aber nicht angezeigt.
Die „16 Tage gegen Gewalt“ – alljährliche Schwerpunkttage zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ vom – stehen deshalb im Jahr 2014 unter dem Motto „Vergewaltigung verurteilen. Ein Nein muss genügen“. Der Frauenausschuss des Städtebunds und elf österreichische Frauenbüros haben dafür eine Kampagne für eine Online-Petition erarbeitet.
Unter www.staedtebund.gv.at/gewalt erfahren nicht nur viele Menschen von der rechtlichen Schieflage, sie können darüber hinaus mit ihrer Unterschrift auch fordern: „Ein Nein muss genügen“. Die Kampagne, initiiert vom Frauenbüro Salzburg, umfasst Plakate, Veranstaltungen, Aufrufe über soziale Medien, Verteilaktionen, begleitendes Kulturprogramm und Info-Stände.
„Jede Vergewaltigung ist eine zu viel und wir müssen das thematisieren“, ist Vizebürgermeisterin Anja Hagenauer überzeugt, „die öffentliche Hand ist bei diesem Thema in besonderem Maße gefordert. Es geht um Ursachenforschung auf der einen und Sensibilisierung auf der anderen Seite. Aus meiner langjährigen Tätigkeit im Integrationsbereich weiß ich, dass Frauen mit Migrationshintergrund auch oft zum Opfer werden, sich dessen aber gar nicht bewusst sind oder sich einfach zu sehr schämen um das auch anzuzeigen“.
„Die Idee zu diesem Projekt entstand im Frauenausschuss des Städtebundes“, berichtet Alexandra Schmidt, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg, „wir haben die Idee aufgegriffen und mit den Salzburger Gewaltschutzeinrichtungen weiter entwickelt“. Vertreterinnen von „Frauentreffpunkt“, „Frauennotruf“, „Gewaltschutzzentrum“, „Frauenhaus Salzburg“ und „VIELE“ hätten die Petition und das Rahmenprogramm auf die Beine gestellt. Der Städtebund habe die Idee übernommen und ist nun „Schirmherr“ – elf weitere österreichische Frauenbüros machen mit (Bregenz, Graz, Hirm, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg, St. Pölten, Villach, Wels, Wien, Wiener Neustadt).
Der juristische Aspekt: ohne körperlichem Widerstand kein Tatbestand
Derzeit sind sexuelle Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen einer Person nur strafbar, wenn Gewalt, Drohung oder Freiheitsentziehung angewandt wurden. Eine Beurteilung nach geltender Rechtslage ergibt oft keine „Vergewaltigung im eigentlichen Rechtssinne“. Wenn eine Frau bei einem unerwünschten Sexualakt „nein“ sagt, weint, oder aus Angst keinen körperlichen Widerstand leistet, ist der Tatbestand der Vergewaltigung nicht erfüllt. Österreich hat sich mit der Ratifizierung des „Istanbul-Übereinkommens“ verpflichtet, dessen Empfehlungen umzusetzen.
Dieses „Europaratsübereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ hat als Kerninhalt eine Verbesserung der Situation für Opfer von sexualisierter Gewalt.
Das Justizministerium arbeitet momentan an einer große Strafrechtsreform. Jetzt ist der beste Zeitpunkt, auch die Schwächen des Gesetzes beim Thema „Vergewaltigung“ und „sexuelle Nötigung“ aufzuzeigen und zu reformieren. „Je mehr Unterschriften desto mehr Nachdruck für diese Forderung. Alle sind aufgerufen, jetzt zu unterschreiben auf www.staedtebund.gv.at/gewalt “, sagt Alexandra Schmidt.
Reformvorschläge für neues und zeitgemäßes Strafrecht
In Österreich hat die Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt den „Future Policy Award 2014“ als vorbildliche Maßnahme gewonnen. Dieser „Oscar für gute Gesetze“ in Silber wurde am 14.10.2014 in Genf verliehen. Er würdigte politische Lösungen zur Beendigung von Gewalt an Frauen und Mädchen. Die Prozessbegleitung überzeugte dabei als vorbildliche Unterstützung für Opfer von Gewalt in Prozessen.
In der gerichtlichen Realität muss es aber bessere Möglichkeiten für eine Verurteilung der Beschuldigten geben. Die österreichischen Gewaltschutzzentren und die Frauennotrufe haben konkrete Vorschläge für die Reform des Strafrechts ausgearbeitet. Ziel beider Vorschläge ist es, „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen“ unter Strafe zu stellen. Denn geänderte gesellschaftlicher Realitäten sind der Grund für die Erneuerung des Strafrechts – in diesem Sinne soll Vergewaltigung auch dann strafbar sein, wenn die sexuellen Handlungen ohne Gewalt, Freiheitsentziehung und Drohung, aber gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person vorgenommen werden. Weinen oder Erstarren (als psychische Reaktion von Gewalt) sollen für das Delikt der Vergewaltigung ausreichend sein.
Statements der Expertinnen
Andrea Laher, Frauennotruf Salzburg:
„Dass die Vornahme sexueller Handlungen allein gegen den Willen einer Person vom Gesetzgeber bislang nicht unter Strafe gestellt wird, ist eine systematische Schutzlücke – vor allem für Frauen. Es stellt sich die Frage, ob in einer modernen Rechtsordnung, die Forderung nach körperlichem Widerstand zur Erfüllung eines Straftatbestandes einem Opfer noch zumutbar ist oder ob wir nicht jetzt den zivilisatorischen Stand erreicht sollten, der die deutlich erkennbare Willensäußerung als ausreichend erachtet. Es ist an der Zeit, „sich von tradierten Denkmustern weiblicher Verfügbarkeit und der Irrelevanz weiblicher Willensbekundung zu lösen“ (DJB).
Christina Riezler, Gewaltschutzzentrum Salzburg:
„Viele Betroffene häuslicher Gewalt berichten, dass sie sexuelle Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner erlebt haben. In einer durch Abwertung und Gewalt geprägten Atmosphäre lassen die Betroffenen den Geschlechtsakt „über sich ergehen“, um weitere Gewalt zu vermeiden. Der Partner braucht in diesen Fällen keine unmittelbare Gewalt anzuwenden, um das zu bekommen, was er will. Im Sinne des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt fordern wir, dass Vergewaltigung auch dann strafbar ist, wenn die sexuelle Handlung ohne Gewalt, Freiheitsentziehung oder Drohung, aber gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person vorgenommen wird.“
Gabriele Rechberber, VIELE – Frauenberatungszentrum für migrantische Frauen:
„Unsere Beratungserfahrungen bei VIELE zeigt: das Sprechen über sexualisierte Gewalt ist ein absolutes Tabu. Sehr traditionelle Vorstellungen von Ehe und Familie und ein moralisch-religiöser Kontext lässt sexuelle Gewalt oft zu. Das macht es den betroffenen Frauen fast unmöglich, der Spirale von sexualisierter Gewalt, familiären Repressionen und wirtschaftlichen Abhängigkeit zu entfliehen. Für uns daher besonders wichtig: Ein Gesetzestext, der keinen Raum für Interpretationen zulässt und unserem Werteverständnis entspricht. Damit verschaffen wir jenen Betroffenen Sicherheit und Schutz, den sie in ihren Heimatländern nicht erfahren durften.“
Elisabeth Walch, Frauentreffpunkt Salzburg:
„In der Beratung zeigt sich immer wieder, dass Gewalt und sexualisierte Gewalt eine direkte Folge von vorherrschenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in vielen Beziehungen darstellen. Betroffene Frauen erleben solche Beziehungen als Ort an dem Männer ihre Besitzansprüche unbegrenzt ausüben und ein NEIN nicht akzeptieren.“
Birgit Thaler-Haag, Frauenhaus Salzburg:
„Aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage wollen viele betroffene Frauen keine Anzeige erstatten, weil sie fürchten, dass sie nicht ausreichend beweisen können, sich gegen den Vergewaltiger gewehrt zu haben. Dies belegt auch eine Studie aus 2009, dass in Österreich nicht einmal eine von zehn Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht wird und nicht einmal jede fünfte Anklage zu einer Verurteilung führt. Daher müssen die Voraussetzungen für die Strafbarkeit einer Vergewaltigung dringend geändert werden – Ein Nein muss genügen!!!“
Daten und Fakten
• 1975 gab es 110 Verurteilungen wegen Vergewaltigung, im Jahr 2013 waren es 104.
• Die Polizei nennt eine Aufklärungsquote von 82 Prozent.
• In Österreich ist Vergewaltigung in der Ehe seit 25 Jahren strafbar, aber erst seit 10 Jahren ein Offizialdelikt.
• 20 Prozent der Frauen erfahren in Österreich körperliche und/oder sexuelle Gewalt als Erwachsene.
• Durch ihren (früheren) Partner wurde 13% der Frauen in Österreich körperliche/ sexuelle Gewalt angetan.
• 38% der Frauen kennen psychische Gewalt: Einschüchterung, Kontrolle, Hausarrest oder Herabwürdigung.
• 35% der Frauen wurden in Österreich schon Opfer sexueller Belästigung, davon ein Drittel am Arbeitsplatz.
• Stalking sahen sich bereits 15% der Österreicherinnen ausgesetzt. (Quellen: www.bmi.gv.at und Studie der EU Grundrechteagenatur FRA)
Aus der Aussage eines 15jährigen Vergewaltigungsopfers:
„……..Es ging dann jedenfalls so weit, dass er mir die Hose und die Unterhose auszog. Ich hatte eine Jean und ein T-Shirt an, das weiß ich noch. Ich war dermaßen perplex und wusste auch nicht, was da mit mir passierte, deshalb konnte ich mich weder wehren noch schreien. Ich habe auch nichts sagen können. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch Jungfrau und kannte mich nicht wirklich aus, was gerade mit mir passierte………..“
Aus der Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft:
„ …..Die Einstellung erfolgt aus rechtlichen Gründen, zumal laut eigenen Angaben des Opfers vor und während des Geschlechtsverkehres weder Gewalt angewendet noch eine Drohung ausgestoßen wurde bzw. eine Freiheitsberaubung stattfand, sodass der Tatbestand der Vergewaltigung nicht erfüllt ist. ….“
Rückfragen
Anja Hagenauer, Bürgermeister-Stellvertreterin, Ressortleiterin Frauen:
0662/8072-2940 oder e-mail: bgmstv.hagenauer@stadt-salzburg.at
Alexandra Schmidt, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg
0662/8072-2044 oder e-mail: alexandra.schmidt@stadt-salzburg.at
Veranstaltungen
„Vergewaltigt. Selber schuld?“
Am 25. November ab 18 Uhr erläutert Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung (Wien) in der TriBühne Lehen die Rechtslage, Expertinnen diskutieren Reformoptionen. Alice Gerschpacher sorgt für die Musik, ein Snack für Stärkung. Anmeldung erbeten: frauenbuero@stadt-salzburg.at oder Tel: 0662/8072-2043.
»Dein ist mein ganzes Herz ...«
ohnetitel präsentiert:
ein heimliches kabinettstück für 2 personen
Ein begehbarer Kasten: Intimraum und Schutzraum. Im Inneren: Gedichte von Frauen über die Sehnsucht nach Nähe und Berichte über die Verletzung von Nähe und Intimität.
Eine Collage aus Lesung und Toneinspielungen. Setzen Sie sich zu uns und hören Sie zu.
Mi 3.12. / Do 4.12. / Fr 5.12. jeweils 14 - 17 Uhr
Sa 6.12. 11 - 15 Uhr
Im Rathausfoyer, Erdgeschoß, Kranzlmarkt 1
Tag der Menschenrechte
Abschlusspräsentation
10. Dezember, 18:30 Uhr, TriBühne Lehen, Tulpenstr. 1

Karl Schupfer