Straßennamen als ideologisch motivierte Erinnerungskultur
Straßennamen sind Teil einer im Alltag verankerten Erinnerungskultur. Sie sind Ausdruck der ideologischen Haltung der Antragstellenden und der politischen Entscheidungsträger. Am Donnerstagabend, 19. November 2015, referierten Peter F. Kramml, Leiter des Stadtarchivs, und die Stadtarchiv-Historikerin Sabine Veits-Falk zum Umgang damit nach und während der NS-Zeit.
Wie Veits-Falk betonte, wurde „offensichtliches“ NS-Namensgut nach dem zweiten Weltkrieg um- bzw. rückbenannt. „Der Vorschlag, einen ‚Befreiungsplatz‘ vor dem Landesgericht zu schaffen, wurde nicht realisiert. Dafür aber bereits 1947 mit Straßen-Benennungen nach Valentin Aglassinger und August Gruber an NS-Opfer erinnert“, so die Historikerin.
Aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar sei, dass die Stadtregierung ab den 1960-er Jahren Straßen erneut nach Personen benannte, die Funktionen im NS-Regime ausgeübt hatten, mit dem Regime verstrickt waren, Karriere gemacht hatten oder Günstlinge waren. Derartige Vorschläge seien von allen Fraktionen gekommen. In vielen Fällen wurden sie ohne inhaltliche Begründung ausgewählt. So etwa die Josef-Thorak-Straße – nach dem Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers –, deren Umbenennung seit 1988 mehrfach gefordert wurde.
Umdenken erst im "BedenkJahr 1988"
Ein Umdenken und eine Debatte über Straßennamen setzten erst im Vorfeld des „Bedenkjahres 1988“ ein. Die Stadt gab eine Gutachtenserie über 23 „angeblich NS-belastete Personen“ in Auftrag. Auf Antrag des Antifaschistischen Personenkomitees wurde ein Gemeindebeschluss gefasst, bei künftigen Benennungen Opfer des NS-Terrors und Widerstandskämpfer besonders zu berücksichtigen. 1988 wurde im Gemeinderat auch die Umbenennung der Augustin-Ableitner-Straße beschlossen. „Aufgrund der hasserfüllten und menschenverachtenden Texte, die der Namensgeber unter dem Pseudonym ‚Blasi‘ verfasst hatte“, wie Veits-Falk erläuterte. Entsprechend dem Votum der Anrainer erhielt die Straße nun den Namen des dort gelegenen Pfarrzentrum St. Vitalis.
2013 beschloss der Gemeinderat, dass ab Jahresende 2015 Erläuterungstafeln – auch über „NS-belastete“ Personen – informieren. Damit bringe die Stadt ihre kritische Haltung zum Ausdruck, so Veits-Falk.
Ausgehend von einem Stadtplan der Gauhauptstadt Salzburg aus dem Jahr 1940, der die Durchdringung des öffentliche Raum durch die NS-Ideologie dokumentiert, referierte Peter F. Kramml über die Entstehung von Straßennamen und erste ideologische Umbenennungen zur Zeit des autoritären „Ständestaates“. Im Zuge der großen Eingemeindung 1935 fand auch die größte Zahl von jemals gleichzeitig durchgeführten Um- und Neubenennungen statt. „200 Straßen erhielten damals nach Benennungsgruppen, die Landesarchivdirektor Franz Martin erstellt hatte, ihren Namen“, so Kramml.
Vorauseilender "Rassismus"
Am Beginn der NS-Herrschaft standen Umbenennungen aus politischen und „rassischen“ Gründen. Etwa von Verkehrsflächen, die nach Engelbert Dollfuß, Ignaz Seipel und Franz Rehrl benannt waren. Kramml: „Vorauseilend, noch bevor die Reichsstellen dazu aufriefen, wurde der Max-Reinhardt-Platz aus rassistischen Gründen umbenannt. Besondere Feindbilder waren die katholische Kirche und die Habsburger.“
Nicht nur Straßen und auch Berge, wie der Kapuzinerberg, wurden umbenannt, sondern auch beschlagnahmte geistliche Objekte. So wurde das Borromäum zum Michael-Gaismeier-Hof oder das Priesterhaus zum Fischer-von-Erlach-Hof. Die Umbenennungen der nach Habsburgern benannten Salzachbrücken blieben auch nach 1945 aufrecht.
Bereits 1939 untersagte das Reichsinnenministerium jedoch Umbenennungen von bestehenden, insbesondere alten und historischen Namen. Neu entstandene Siedlungen boten aber die Möglichkeit Namensgut der „Bewegung“ anzuwenden. Deutsche und österreichische Heerführer gaben den Straßen der Aiglhofsiedlung ihre Namen (zum Teil nach 1945 umbenannt), Deutsche Volksgruppen jenen in Liefering. Die „Helden“ des Bauernkriegs, die als Wegbereiter des NS-Staates stilisiert wurden, sind bis heute in der Weichselbaumsiedlung namentlich präsent. „Diese Benennungen haben nach mehr als 70 Jahren ihre Verknüpfung mit dem Nationalsozialismus verloren“, sagte Kramml.
Die letzte Straßenbenennung nahm die NS-Stadtverwaltung noch im April 1945 nach dem Salzburger Ehrenbürger Dr. Julius Sylvester vor. Sylvester war zwar radikaler Antisemit, aber als Staatsnotar einer der „Geburtshelfer“ der Republik Österreich.

Karl Schupfer