Die Kinder- und Jugendhilfe im Zeichen von Pandemie und Lockdown
Corona wirkt, bewirkt und wird nachwirken
Besonders betroffen durch die Corona-Krise sind Kinder und Jugendliche. Sie stehen vor einer ungewissen Zukunft und vor neuen Herausforderungen. Homeschooling, häufig mit zu wenig Platz zu Hause, wenig bis keine Freizeitmöglichkeiten und kaum eine Chance auf die so wichtigen sozialen Kontakte. Die Profis der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Salzburg machen sich Sorgen um Kinder und Jugendliche dieser Stadt, denn die Gefährdungsabklärungen stiegen um knapp 30% im Vergleich zum Vorjahr.
Zukunftsampel leuchtet dunkelrot!
„Die Zukunftsampel für Kinder und Jugendliche steht seit Monaten auf dunkelrot. Corona vernichtet Chancen! Gerade für Kinder und Jugendliche“, so Sozial-Stadträtin Anja Hagenauer und weiter: „Mein Auftrag ist, dass wir versuchen, allen Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt eine sichere Zukunft zu geben, niemanden zurückzulassen und mit den Profis der Kinder- und Jugendhilfe der Sozialabteilung sind wir auch für die Weihnachtsfeiertage gut gerüstet. Heuer werden es besondere Feiertage. Gewohntes wird es leider nicht geben und das kann zu zusätzlichen Stress-Situationen in Familien führen und meistens leiden dabei die Kleinsten.“
Stimmungsbild „Blitzumfrage“ – Genauere Ergebnisse im Februar.
Das Jugendförderprojekt „Streusalz“ führte im November 38 persönliche Tiefeninterviews mit Jugendlichen im Alter von 9 bis 21 Jahre aus unterschiedlichen Stadtteilen durch. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen wünscht sich einfach nur Normalität zurück. Sie wünschen sich Normalbetrieb der Schule zurück, da sie hier ihre Freunde treffen. Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen beantworteten die Frage nach ihrem Befinden auch während des Lockdowns noch immer mit „gut“. Auf Nachfrage geben viele jedoch an, dass Sie sich „einsam“ oder „gestresst“ fühlen und dass sie von der aktuellen Situation „genervt“ sind. Grund genug um genauer hinzusehen. Im Rahmen des Monats der Vielfalt will die Stadt diesen Themen daher tiefer auf den Grund gehen und plant eine erste große Salzburger Jugendstudie zum Thema „Generation C für Corona“.
Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe im Schatten von Corona und vor Weihnachten
Mit ihrem Team identifizierte die Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) Adelheid Moser folgende Faktoren, die für Familien in Zeiten von Pandemie und Lockdown besondere Stressfaktoren sind. „Enge Wohnverhältnisse erschweren nicht nur den Corona-Alltag, sondern begünstigen auch familiale Konflikte. Die finanziellen Verhältnisse mancher Familien sind äußerst prekär. Psychisch erkrankten Elternteilen geht es zudem in der Krise schlechter und damit nehmen Suchterkrankungen zu. Ohnehin belastete Partnerschaften werden konflikthafter oder zerbrechen ganz und Homeschooling stellt sowohl eine organisatorische als auch inhaltliche Überforderung dar“, so Moser.
+33% bei Gefährdungsabklärungen zum Vorjahr
Nach dem ersten Lockdown zeigte sich der Kinder- und Jugendhilfe eine deutliche Zunahme an Gefährdungsabklärungen und notwendigen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der aufsuchenden Familienarbeit. In den drei Sommermonaten Juni, Juli und August nahmen die Beratungs- und Betreuungsfälle im Schnitt bereits um 18,6% zu. Nach einer kurzen „Erholungsphase“ im September stiegen die Zahlen ab Oktober erneut an. Bis November musste die KJH 1320mal unterstützend tätig werden. Ambulante Erziehungshilfen wurden kurzfristig ausgebaut und die dringend notwendigen Krisenstellen sowie die Bereitschaftspflegeeltern sind seit Monaten ausgelastet. Trotz dieses kurzfristigen Ausbaus ist das bisher der bittere Rekord in diesem Sonder-Jahr 2020. Die Gefährdungsabklärungen nahmen im Zeitraum zwischen Juli und November 2020 um fast 33% zum Vorjahr zu. So hatte sich nach dem Sommer die Situation in vielen Familien zwar durch das „normal“ begonnene Schul- und Kindergartenjahr 2020/2021 und die eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe kurzzeitig etwas beruhigt, die Angst vieler Elternteile vor einem eventuell noch eintretenden Arbeitsverlust bleibt jedoch bestehen und setzt die Familien weiter unter Druck. In den Hausbesuchen der Sozialarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe berichten Elternteile von längst vergangenen traumatischen Situationen, die ihre Gedanken mit einem Mal wieder belasten. Auch ein ständiger Begleiter in der Pandemie: Homeschooling, das für viele Kinder und Jugendlichen von der Notlösung immer mehr zur Dauereinrichtung wird. Es erschwert bzw. verhindert gerade in digital schlecht ausgerüsteten Familien die Teilhabe an Bildungsprozessen. Für die Expert*innen der Kinder- und Jugendhilfe wäre ein Offenhalten von Kindergärten, Schulen und Tagesbetreuungsstätten aus fachlicher Sicht daher enorm wichtig, um es Eltern und Kindern zu ermöglichen, die normalen Strukturen des Familienlebens aufrecht zu erhalten und zusätzliche Belastungen zu reduzieren. Ein Umstand, der im Übrigen nicht nur auf Familien, die von der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden, zutrifft.
Kinder und Jugendliche verlieren auf vielen Ebenen – Radikalisierung befürchtet!
Auch in vielen anderen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen ist der Ausblick der Expert*innen auf die kommenden Herausforderungen ernüchternd: Die Zukunftsplanung für Jugendliche in Hinblick auf einen Einstieg in ein Berufsleben (Lehrstellen, Praktika) wird durch die Krise massiv erschwert und verhindert die Verselbstständigung junger Menschen. Die ohnehin schon schwierigen Wohnverhältnisse werden noch schwieriger werden. Frauen werden in gewaltvollen Beziehungen bleiben, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Dadurch werden Kinder vermehrt mit sich wiederholenden Gewalterfahrungen aufwachsen. Ein Problemfeld, das auch bereits im Rahmen des Runden Tisches Gewaltschutz der Stadt Salzburg von den Expert*innen dort als ein zentrales Thema identifiziert wurde. Stigmatisierungsprozesse von Familien mit Migrationshintergrund werden – so lassen die aktuellen Ereignisse befürchten – zunehmen und damit Radikalisierungsprozesse von Jugendlichen in Gang setzen. Die aktuelle Corona-Pandemie hat auch massive Auswirkungen auf die Bereiche Kindesunterhalt und Abstammungsklärung, die von der KJH bearbeitet werden. Tragische Konsequenz von Rekordarbeitslosigkeit und Kurzarbeit ist, dass der Unterhalt minderjähriger Kinder gefährdet ist. Hier geraten Familien oft sehr plötzlich in finanzielle Not.
„Wir sehen auf der einen Seite Kinder, die dringend einen Laptop und Internetzugang für das Homeschooling benötigen würden und auf der anderen Seite Eltern, die durch Kurzarbeit oder Jobverlust massive Einbußen hinnehmen müssen. Wie soll man z.B. als Alleinerzieher*in über die Runden kommen, wenn Elternteile gerade ihre Anstellung verloren haben und plötzlich nur noch ein Bruchteil des Unterhaltes am Konto ankommt? In solchen Fällen schnell zu helfen stellt uns zunehmend vor Herausforderungen“, schildert Sozial-Stadträtin Anja Hagenauer und Amtsleiterin Adelheid Moser ergänzt: „Die Corona-Pandemie verschärft bestehende strukturelle Probleme und macht diese auf schmerzhafte Weise sichtbar. Das gilt auch in besonderem Maße für den Kindesunterhalt.“
Problemfeld Unterhaltszahlungen – Viele in Verzug; vieles unsicher
Im Zeitraum von Mitte März bis Ende April 2020 erkundigten sich rund 600 Mütter und Väter bei der Rechtsvertretung der KJH darüber, wie hoch der den Kindern aufgrund von Einkommenseinbußen noch zu leistende Geldunterhalt ist. Gerade bei den betreuenden Elternteilen war die Sorge sehr groß, wie sie die kommenden Monate finanziell über die Runden kommen sollten. „Da in vielen Fällen eine Herabsetzung des Unterhaltes rechtlich gerechtfertigt war, wurden von uns mit viel Fingerspitzengefühl einvernehmliche Lösungen zwischen den Eltern gefunden.“, erläutert Amtsleiterin Adelheid Moser. Wegen der komplexen und sich schnell ändernden Kurzarbeitsregelungen werden endgültige Berechnung des Unterhaltes aber erst Anfang 2021 rückwirkend erfolgen, wenn aussagekräftige Lohnnachweise vorliegen. Ende März 2020 erleichterte die Bundesregierung den Zugang zu Unterhaltsvorschüssen für die Dauer von sechs Monaten. Eine „Corona Maßnahme“, bei der der Bund auch ohne vorherige Exekution durch die KJH für zahlungssäumige Väter (oder Mütter) vorübergehend einspringt. Seit September 2020 laufen diese sogenannten „Covid-Vorschüsse“ nun aus. Spätestens im Oktober müssen dann neue reguläre Vorschussanträge gestellt werden. Eine bürokratische Notwendigkeit mit vielen Fallstricken für die Antragsteller. Denn eine solche Neubeantragung führt auch zu einer Unterbrechung der Auszahlung des Vorschusses – je nachdem wie rasch das Gericht entscheidet, erfahrungsgemäß für zumindest einen Monat. Darüber hinaus muss für diesen Neuantrag gegen den geldunterhaltspflichtigen Elternteil Exekution geführt werden. Die Höhe der Vorschüsse ist gekoppelt an die Leistungsfähigkeit des/der Unterhaltsschuldner*in, weshalb Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit dazu führt, dass auch der Vorschuss nur in reduzierter Höhe ausbezahlt wird oder sogar komplett versagt wird. Erschwerend kommt auch die Beschränkung des Gerichtsbetriebes hinzu. In Phasen des Lockdowns werden zum Schutz der Gesundheit nur allerdringlichsten Verhandlungen durchgeführt. Daher kam es auch bei Unterhalts- oder Abstammungsverhandlungen zu oftmals erheblichen Verzögerungen. Das bedeutet wiederum oft monatelanges Warten auf Unterhalt oder andere Leistungen.
Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Herausforderungen und zukünftigen schwierigen Zeiten hat für die Kinder- und Jugendhilfe die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Familien, die durch Hausbesuche und regelmäßige Telefonkontakte gesicherte Präsenz der Betreuung und Beratung oberste Priorität. Ohnehin belastete Familien dürfen sich nicht allein gelassen fühlen. Das Fazit der Expertinnen der KJH: „Niemand soll sich gerade jetzt davor scheuen, die Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen! Auch in Zeiten, in denen Behördengänge aufgrund Maskenpflicht und Abstandsregeln erschwert sind, ist die Kinder- und Jugendhilfe für die Familien präsent und steht schützend und unterstützend zur Seite.“
Höfferer Jochen