Pflege braucht Taten – aber sofort!

30.09.2021
Pflege braucht Taten - aber sofort!
im Bild v. li: Christoph Baumgärtner Leitung städtische Senioreneinrichtungen, Patrick Pfeifenberger Leitung Abteilung Soziales, Anja Hagenauer Sozial-Stadträtin, Susanne Mayer-Seeleitner Leitung Senioren:innen Beratung,

Stadt präsentiert Akut-Programm für Pflege und Betreuung
Die Pflege ist ein essenzieller und sinnstiftender Beruf, der seit langem unter schwierigen Bedingungen leidet. Die enormen Belastungen in der Pandemie haben die ohnehin angespannte Situation noch einmal verschärft warnt Stadträtin Anja Hagenauer vor einer Massenflucht aus den Pflegeberufen: „Die Situation ist dramatisch. Salzburg steht im Bereich der Pflege und Betreuung vor einem Kollaps des Systems. Corona wirkt zusätzlich wie ein Brandbeschleuniger, verstärkt den vorhandenen Trend der Abwanderung und legt die Schwachstellen, die ich seit Jahren anspreche, schonungslos offen“. Die Verantwortlichen in der Stadt präsentieren heute ein Akutprogramm, um das Schlimmste zu verhindern. „Wenn jetzt nicht konsequent gehandelt wird und Geld in das System fließt, müssen wir zum Jahreswechsel den Pflege-Lockdown ausrufen“, warnt Hagenauer und fordert vom Bund eine Pflegemilliarde als erste Sofortmaßnahme.

1. Eine Milliarde Euro als Sofortmaßnahme für die Pflege
Jede Maßnahme, die es nun zu setzen gilt, wird Geld kosten. Ausbildungen. Umschulungen, Fortbildungen kosten Geld. Neue, systementlastende Angebote kosten Geld. Pflegekräfteakquise kostet Geld. Die Pflege ist ein Bereich in den der Bund und auch die Länder dringend Geld investieren müssen. Die Ergebnisse des Pflegepakets waren ein Tropfen auf dem heißen Stein im Vergleich zu dem was uns noch erwartet. Von der Milliarde des Bundes würden in etwa rund 70 Millionen auf das Land Salzburg entfallen.

2. Konflikte beenden - Beauftragten für Pflege bestellen
Obwohl Gesundheit und Soziales auf Bundesebene in einem Ministerium gebündelt sind, herrscht de facto zwischen den beiden Bereichen ein veritabler Kompetenzkonflikt, der gerade bei der Implementierung neuer Angebote und deren Finanzierung deutlich zu Tage tritt. Hier gilt es dringend Barrieren abzubauen und an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Nach deutschem Vorbild soll ein/-e Pflegebevollmächtigte/-r der Bundesregierung bestellt werden, der/die die Interessen der zu pflegenden Menschen vertritt und sich dafür einsetzt, dass sich die Strukturen und Angebote des Gesundheits- und Pflegesystems an den Bedürfnissen des pflegebedürftigen Menschen orientieren. Auch die Länder müssen eine/-n entsprechende/-n Expert:in mit gleichlautender Aufgabe implementieren um eine kontinuierliche, inhaltlich angestimmte Weiterentwicklung zu forcieren. Gerade an der  Schnittstelle zwischen Spitälern und Pflegeeinrichtungen werden die Defizite deutlich und braucht es dringend eine koordinierende Stelle. Die Bevollmächtigen müssen mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet werden und sollen den Betroffenen, deren Angehörigen vor allem aber allen Trägerorganisationen als Ansprechperson dienen.

3. Gründung einer Bundesagentur zur gezielten Anwerbung von Pflege-Fachkräften
Salzburg hat es auf eigene Faust bereits probiert, aber die Hürden am Arbeitsmarkt (Stichwort: Nostrifizierung etc.) sind extrem hoch. Immer wieder kommt es vor, dass im Ausland top ausgebildete Pflegekräfte in Österreich lediglich als Betreuungsperson arbeiten dürfen, oder dass in Österreich ausgebildete Pflegekräfte in weiterer Folge keine Arbeitserlaubnis erteilt bekommen. Hier muss inhaltlich aber auch systemisch dringend etwas geändert werden. In Deutschland kümmert sich seit mehreren Jahren gezielt eineBundesagentur um die Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften. Um Pflegekräfte effektiv anzuwerben , müssen die Rahmenbedingungen stimmen, insbesondere müssen im Interesse der Arbeitgeber:innen  und der Pflegefachkräfte transparente Regelungen sowie schnelle und verlässliche Verfahren etabliert werden, die eine Niederlassung und Nostrifizierung in kürzester Zeit ermöglichen.

4. Gesetze entrümpeln: Reduktion sinnloser Dokumentation - Empowerment für Pflegekräfte In einer Befragung unter den städtischen Pflegekräften wurde immer wieder angeführt, dass die überbordende Dokumentation als „brutales“ Hemmnis für die Arbeit empfunden wird, Die stadtinternen Expert:innen schätzen, dass durch eine Verschlankung der Dokumentationserfordernisse pro Bewohner:in täglich rund bis zu zehn Minuten für die Arbeit an und mit den Menschen gewonnen werden könnte Bei 700 Bewohner*innen bedeutet das 116 Stunden mehr Zeit für die Bedürfnisse der Bewohner*innen pro Tag ohne dass es zu einem Qualitätsverlust kommt. Ebenfalls eine (zeitliche) Entlastung könnte ein Empowerment der Pflegekräfte im Bereich der Medikamentengabe/Medizinprodukte bringen. Derzeit dürfen topausgebildete Pfleger:innen jegliche Arzneimittel nur über ärztliche Anordnung an Bewohner:innen verabreichen oder an diesem Anwenden, Das umfasst bspw., auch die Verwendung von Heilsalben wie Bepanthen oder die Gabe einer Tablette gegen Kopfschmerzen. Selbst Inkontinenzprodukte müssen zumindest vor der ersten Verwendung einmal von einem Mediziner angeordnet werden.  Das bindet Zeit sowohl auf Seiten der Pflege als auch auf Seiten der Hausärzte. Hier könnten die zuständigen Gesetzgeber (NR, Landtag) den rechtlichen Rahmen anpassen und für österreichweite enorme Erleichterung sorgen. 

5. Übergangspflege-Projekt im Haus III in Itzling umsetzen
Übergangspflege ist eine rehabilitative Pflege. Sie unterstützt Senior*innen nach einem akuten KH-Aufenthalt dabei, sich wieder so weit zu stabilisieren, dass ein möglichst selbstständiges Leben Zuhause weitergeführt werden kann. Dieses Versorgungsangebot das in anderen Bundesländern bereits Gang und Gäbe ist gibt es bislang in Salzburg nicht. Ein fertiges Konzept eines Trägers liegt bereits vor. Bis zur endgültigen Klärung der Standortfrage ist die  Stadt bereit dem Land Salzburg bzw. dem Träger das Haus III in Itzling zur Verfügung zu stellen, sobald die dort, von der Diakonie betreuten Personenwieder in ihre angestammte Einrichtung zurückübersiedelt sind.

6. Landesweites „Pflege Support-Team“
Mit der Leitung des „Covid-Hauses für Senior:innen und Menschen mit Behinderung“ im Privatspital Wehrle, hat die Stadt im Jahr 2020 bewiesen, dass sie proaktiv und abseits einer Zuständigkeitsdiskussion dazu  beiträgt, akute Probleme zu lösen. Das würde auch bei einem „Pflege Support-Team“ so sein. Dieses Team springt ein, wenn ein Pflegebetrieb aufgrund akuten Personalmangels nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dieses Noteinsatz-Team wurde in der Hochphase der Pandemie zwar geplant, aber nicht umgesetzt. Es bedarf dafür einer entsprechend neuen Regelung im Salzburger Pflegegesetz zur Mindestpersonalausstattung und den notwendigen Ressourcen.

7. Karrieremodell der Stadt ausrollen
Die Stadt bietet bereits seit mehreren Jahren die vollfinanzierte Ausbildung von Pflegekräften bei vollem Lohnausgleich und innerhalb der Arbeitszeit an. Dieses Karrieremodell wird von den Mitarbeiter:innen gut angenommen. Die betroffenen Mitarbeiter:innen reduzieren in entsprechendem Ausmaß der Ausbildung ihre Arbeitszeit und in der restlichen „Dienstzeit“ wird diese Fachausbildung absolviert und/oder gelernt. Die Arbeitnehmer:innen binden sich dafür fünf Jahre an die Stadt Salzburg. Diese Höherqualifizierungen sind für die betroffenen Kolleg:innen kostenlos. So kommt es zu keinen Einschränkungen bei Freizeit und/oder im Gehalt. In den letzten Jahren ergriffen 34 Pflegekräfte diese Möglichkeit. Dieses Modell ließe sich problemlos landesweit ausrollen. Derzeit werden die Kosten von der Stadt getragen ohne diese über die Tagsätze abgegolten zu bekommen. Die Kosten der Ausbildungskraft (ca. 40.000 Euro) sollen allen Träger-Organisationen direkt refundiert werden, um auch ihnen diese Ausbildung zu ermöglichen und zu garantieren, dass Fortbildungskosten nicht an den engagierten Pflegekräften, die sich weiterbilden wollen, hängenbleiben.

8. Rückgewinnung ausgebildeter Pflegekräfte
Expert:innen aus dem Arbeitsbereich schätzen, dass im Bundesland Salzburg zwischen 2.000 und 4.000 Personen mit einer Pflegeausbildung in „branchenfremden“ Berufen arbeiten. Gleichzeitig zeigen Studien aus Deutschland, dass bis zu 60% der Pflegeaussteiger*innen unter besseren Rahmenbedingungen bereit wären in den Pflegeberuf zurückzukehren. Seit rund einem Jahr arbeitet die Stadt gezielt daran, diese für den Pflegeberuf zurückzugewinnen. Die Stadt setzt hier auf gezielte Recruiting-Aktionen und verbesserte Arbeitsbedingungen (günstige Arbeitszeitmodelle, Bonuszahlungen, mehr Urlaub etc.). Erste Erfolge lassen sich bereits feiern: So konnten an die 10 bereits pensionierte Pflegekräfte zumindest in Teilzeit für die Stadt reaktiviert werden.

9. Gemeinsames Pilotprojekt „digitale“ Pflegedokumentation
Auch bietet die Stadt eines ihrer Seniorenwohnhäuser für ein Digitalisierungsprojekt zum Thema „Pflegedokumention“ an. Damit will man allen Betreiber-Organisationen helfen und alle können wertvollen Erfahrungen gewinnen und voneinander lernen.

10. Derzeit bestehende Diplomlehrgänge aufrechterhalten
Der akuteste Mangel in der Pflege besteht nach einhelliger Meinung alle Expert:innen im Bereich der diplomierten Pflegekräfte, die personell notwendig sind, um gesetzliche Mindestanforderungen zu erfüllen. Fehlen diese Kräfte, haben Träger keinen Spielraum mehr und es müssen Betten oder ganze Stationen sperren. Die bestehenden Diplomlehrgänge könnten noch bis 2024 weiterlaufen, um den akuten Mangel zu überbrücken. Zukünftig kann mit diesen Lehrgängen jungen Menschen ab dem 17. Lebensjahr auch ohne Matura den Zugang zu einer Diplomausbildung und in weiterer Folge den Einstieg in den Beruf ermöglichen.

11. Pflegeausbildung kostet Geld – das muss es uns wert sein.
Pflegelehrgänge sind wichtig und notwendig, aber diese Ausbildungen helfen nur mittel- bis langfristig. Es wird aber noch mehr Ressourcen und gemeinsame Anstrengungen brauchen, um die entstandenen Lücken zu füllen. Aus- und Weiterbildung muss auch abseits der Pflegeschulen passieren. Beispielsweise in den Einrichtungen selbst. Derartige Programme in den Institutionen zu finanzieren wäre Aufgabe des Landes. Oberstes Prinzip bei der Ausbildung muss es sein, dass die Pflegekräfte ohne extra Kosten und bei vollem Lohnausgleich Ihre Ausbildung und Weiterbildung betreiben können und das Land sie auch beim Lebensunterhalt unterstützt.

12. Arbeitserleichterung für mobile Dienste
Mobile Dienste sind ein wichtiges Standbein der Pflege und dürfen nicht immer das Schlusslicht aller Überlegungen sein. Auf die Arbeit der mobilen Dienste und teilstationären wird aber allzu oft vergessen. Auch hier braucht es Formen der Entbürokratisierung, smarte Digitalisierungslösungen. Es ist nach Maßgabe der Expert:innen nicht sinnvoll, dass nur Diplomierte Pflegekräfte eine Heilsalbe auftragen dürfen. Weiter könnte durch eine effiziente Sprengeleinteilung  wie in Oberösterreich Ressourcen gebündelt werden und die Effizienz der Arbeit dieser Dienste gesteigert werden. So verbringen die Pflegekräfte der mobilen Dienste mehr Zeit bei den Menschen und weniger Zeit im Auto.

13. Coronavirus: Einheitliche Quarantäne-Bescheide
Ähnlich wie bei Schulklassen braucht es bei den Quarantäne-Regelungen dringend eine einheitliche Vorgehensweise der Gesundheitsbehörden in allen Bezirken. Denn die Bezirksverwaltungsbehörden machen dabei immer noch Unterschiede. Viele Pflegekräfte wohnen nicht im „Bezirk Stadt Salzburg“ und daher machen diese unterschiedlichen Vorgehensweisen die notwendigen Planungen für den Dienstbetrieb äußerst schwierig.

Höfferer Jochen MA