Wissensaustausch mit Aha-Momenten bei 'Wohnbau barrierefrei'

22.10.2013

„Wohnbau barrierefrei“ war das Thema einer Fachtagung, die – nach gleichartigen Tagungen in Wien und Tirol – Mitte Oktober 2013 in der TriBühne Lehen stattfand und von Stadt und Land Salzburg, "WienWork" und "Wohnen Plus Akademie" organisiert wurde. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Salzburgs Bürgermeister-Stellvertreterin Christine Homola gemeinsam mit den Landesräten Heinrich Schellhorn und Hans Mayr sowie Karin Miller-Fahringer vom Bundesministerium. „Immer mehr Menschen werden immer älter und wollen in den eigenen vier Wänden leben. Wir müssen uns aufgrund der demografischen Entwicklung dringend auch beim Wohnbau mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzen“, so Christine Homola. Sie forderte die anwesenden ExpertInnen auf, ihre Vorschläge an die Politik weiterzuleiten. Diese müsse die Rahmenbedingungen schaffen, um künftig mehr barrierefreien und auch leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Rund 120 Fachleute aus Bauwirtschaft, öffentlichen Verwaltungen, politisch Verantwortliche, ArchitektInnen, InteressenvertreterInnen sowie Menschen mit Behinderung beteiligten sich an den Workshops und Diskussionen. Darunter gut 20 MitarbeiterInnen aus verschiedensten Bereichen des Salzburger Magistrats, der damit ein weiteres Mal das intensive Interesse der Stadt Salzburg an diesem Thema bewies.

Für Aha-Momente sorgten drei Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, die am Podium von ihren Bedürfnissen und Erfahrungen sprachen. So etwa überraschte die Tatsache, dass Gehörlose bei sämtlichen Gegensprechanlagen an Hauseingängen und innerhalb der Wohnung keinerlei Möglichkeit finden, mit der Umwelt in Kontakt zu treten (ein Teilnehmer verwies auf eine mögliche Handy-App). Die Orientierung blinder Menschen erleichtern geometrisch klare Strukturen und rechte Winkel in der Architektur. Gehörlosen helfen dabei Bewegungsmelder – vor allem auch deshalb, weil Dunkelheit ihr Gleichgewicht beeinträchtigt. Auch Lifte, grundsätzlich ein unersetzliches Hilfsmittel, haben häufig große Schwächen. Sie brauchen für Blinde klar lesbare Druckknöpfe und akustische Angaben zur erreichten Etage – vor allem bei höheren Gebäuden. Für Gehörlose sind Notfallknöpfe mit Sprechkontakt hingegen völlig wertlos. Und Elektrorollstuhl-FahrerInnen brauchen oft mehr Türbreite als vorhanden: Kleine Lifte sind für sie nicht nutzbar.

Dass häufig die Bedürfnisse der Betroffenen sogar einander widersprechen können, zeigt auch die Forderung blinder Menschen nach Stufen, die für Menschen im Rollstuhl unüberwindliche Barrieren darstellen. Völlig einer Meinung aber waren alle Betroffenen bei Erreichbarkeit und Ausstattung vieler Arztpraxen und anderer wichtigen Einrichtungen: hier bestehe noch immenser Handlungsbedarf – wohl auch in Sachen Bewusstseinsbildung.

Alle Wohnungen barrierefrei zu bauen koste unnötig viel Geld, meinte eine Sachverständige aus der Steiermark beim Good Practice-Forum. Sie empfahl, adaptierbaren Wohnraum anstatt barrierefreier Wohnungen zu schaffen – durch leicht entfernbare Wände zwischen Bad und WC wird so z.B. eine später vielleicht notwendige Nutzung mit Rolli ermöglicht. Überrascht haben dazu auch die Angaben zur Verhältnismäßigkeit einer Adaptierung von Wohnraum für SeniorInnen: die Umbaukosten (gilt für Wohnblöcke) haben sich bereits amortisiert, wenn ältere Menschen dadurch nur ein bis zwei Monate länger zu Hause wohnen können und nicht in ein Heim ziehen müssen. Bei kleineren Einheiten dauert die Amortisierung natürlich etwas länger.

Einigkeit schließlich zeigten alle TagungsteilnehmerInnen bei der abgefragten Einschätzung zur Ist-Situation bei barrierefreiem Wohnraum. Die vergebenen Punkte verwiesen auf ein enormes Defizit vor allem bei Altbeständen. Bei Neubauten wird die Situation durch die Verknüpfung von Wohnbauförderung mit barrierefreien Maßnahmen bereits weitaus besser eingeschätzt.

Nach diesem intensiven Gedanken- und Wissensaustausch zur rechtlichen, bautechnischen und finanziellen Machbarkeit in Bezug zur sozialen Verantwortung findet die Abschlussveranstaltung Anfang Dezember in Wien statt. Hier sollen die Ergebnisse der drei Tagungen präsentiert und das entstandene Netzwerk weiter intensiviert werden.

Nähere Infos:
Mag.a Sabine Neusüß
Behindertenbeauftragte der Stadt Salzburg
Tel. 0662/8072-3232
behindertenbeauftragte@stadt-salzburg.at
www.stadt-salzburg.at / menschen mit behinderung

Gabriele Strobl-Schilcher