Land-Stadt-Projekt: Frausein mit Behinderung

18.01.2005

Intensiv-Workshop für Behörden im Umgang mit behinderten Kunden

Beeinträchtigungen begleiten viele Menschen in Salzburg ihr Leben lang. Auch nach 2003, dem Europäisches Jahr der Menschen mit Behinderung, darf die öffentliche Aufmerksamkeit nicht schwinden. Denn Menschen mit Behinderung müssen immer wieder darum kämpfen, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können. Je nach Art und Weise der Beeinträchtigung, vor allem aber auch abhängig vom Geschlecht, ergeben sich ganz unterschiedliche Problemlagen.
In einem Projekt der beiden Frauenbüros von Land und Stadt Salzburg, dem Referat für Behindertenangelegenheiten des Landes und der Behindertenbeauftragen der Stadt Salzburg standen daher konkret die Lebenssituationen von Frauen mit Behinderungen im Mittelpunkt. „Frauen mit Behinderungen erfahren in mehrfacher Weise Diskriminierungen: aufgrund der Beeinträchtigung, aufgrund des Geschlechts und auch aufgrund von Mutterschaft“, fasst Martina Berthold vom Büro für Frauenfragen & Chancengleichheit zusammen.

Sensibilisierung: Sehenden die Augen öffnen
Menschen ohne Beeinträchtigungen haben meist keine Vorstellung davon, wie sich ein Leben mit einer Behinderung gestaltet. Erst durch den persönlichen Kontakt und Erfahrungsberichte entsteht ein Bild vom Leben Betroffener. Im Rahmen des Projekts kamen 40 Frauen mit körperlicher, geistiger und psychischer Beeinträchtigungen aus Stadt und Land zu Wort und erarbeiteten ihre Forderungen für ein selbst bestimmtes Leben: Selbstbewusstseinstrainings, Barrierefreiheit bei ÄrztInnen und Aktionen gegen Gewalt waren ebenso drängende Anliegen, wie Angebote für Mütter mit Behinderungen, Sensibilisierung der Umwelt und vermehrte Möglichkeiten der Erwerbsarbeit. Auf der Grundlage der Forderungen wurden im Jahr 2004 zahlreiche Initiativen gesetzt: Eine 6-teilige Artikelserie in "Unser Land" und "Stadt:Leben“, ein Infonachmittag für Betroffene zur Erwerbstätigkeit gemeinsam mit dem AMS Salzburg und dem Bundessozialamt, ein Runder Tisch zur sexuellen Gewalt in Kooperation mit Salzburger Frauenvereinen und drei Seminare für Mädchen und Frauen mit Behinderungen in Partnerschaft mit dem Frauengesundheitszentrum ISIS.

Mutterschaft und Sexualität leben
Frauen mit Behinderungen wird oft ihr Frau-Sein abgesprochen und damit auch ihre Sexualität. Und dass die Frauen dann auch noch Mütter sind, können sich viele nicht vorstellen. „Wir müssen oft doppelt und dreifach beweisen, dass wir unsere Sache gut machen, dass wir gut für unsere Kinder sorgen“ berichtet Sonja Stadler, Lebensberaterin, Spastikerin und Mutter der 5jährigen Barbara. „Sonja Stadler ist eine der wenigen Pionierinnen. Ihre Erfahrungen sind von großem Wert und sollen auch anderen betroffenen Frauen Mut machen“, meint Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg.

Weiblich, behindert – erwerbslos?!
Die Integration von Frauen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist keine Selbstverständlichkeit. Von den 1.323 Salzburgerinnen mit einem begünstigten Status, d.h. sie haben eine mehr als 50% Behinderung, gehen 914 Frauen einer beruflichen Tätigkeit nach. Gut 30%, das sind 409 Frauen, sind nicht erwerbstätig. Doch viele von ihnen wünschen sich einen Einstieg ins Berufsleben. Der Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, dass Frauen mit Behinderung noch stärker traditionelle berufliche Rollen zugedacht bekommen, als dies für Frauen ohnehin gilt. Mädchen und Frauen werden oft in sehr traditionellen und niedrig-qualifizierten Bereichen (zB Haushalts- und Wäschereibetrieb) eingesetzt. Hinzu kommt, dass vor allem Mädchen mit Behinderung häufig mit einer stärkeren „Überbehütung“ und Eingrenzung auf den familiären Rahmen konfrontiert sind, während Burschen stärker an den Prinzipien der Integration und Selbständigkeit ausgerichtet sind.

Zahlreiche Frauen mit Behinderungen nützten den Infonachmittag zur Erwerbstätigkeit am 30. November 2004 um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Rund 20 betroffene Frauen und Angehörige traten in ein intensives Gespräch ein mit Gabriele Pöhacker (Spastikerin und Behindertenbeauftragte der Diözese Salzburg), Dygy Cevik (Berufseinsteigerin mit einer körperlichen Behinderung), dem AMS-Leiter Siegfried Steinlechner, dem Leiter des Bundessozialamtes Rajmund Kosovic ein. Dabei wurde einerseits auf die zahlreichen Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen (Berufsausbildungs- und Arbeitsassistenz, Arbeitserprobungen, Hilfe zur Berufsorientierung), andererseits haben jedoch die betroffenen Frauen sehr klar auf die Lücken im sozialen Netz hingewiesen. Sehr zermürbend ist es für junge Frauen, keinen Arbeitsplatz zu finden oder dass Hilfeleistungen nicht aufeinander abgestimmt sind.

Sexuelle Gewalt macht auch vor Mädchen und Frauen mit Behinderungen nicht halt
Mädchen und Frauen mit Behinderung sind – entgegen häufiger Annahmen – etwa doppelt so oft von sexueller Gewalt betroffen wie nicht behinderte Frauen. In österreichischen Einrichtungen der Behindertenhilfe wurden Mitte der 90er Jahre 130 Frauen zwischen 17 und 69 Jahren befragt: 64 Prozent der größtenteils geistig behinderten Frauen berichteten von sexueller Gewalt, die sie persönlich erlitten haben. Gerade diese Gruppe ist in besonderer Weise gefährdet, Opfer zu werden, da sie praktisch keinen angemessenen Rahmen haben, Sexualität selbst bestimmt zu leben und erleben.

Als Ergebnis des Runden Tisches mit Frauenberatungs- und Gewaltschutzeinrichtungen im April des Jahres 2004 wurden in Kooperation mit dem Frauengesundheitszentrum ISIS drei Kurse für Mädchen und Frauen mit Behinderungen angeboten: Im Selbstverteidigungskurs lernten sich die Teilnehmerinnen trotz ihrer oder gerade mit ihrer Behinderung zu wehren (zB Krücke als Verteidigungsmittel). Auch der Aufklärungs- und Selbstbewusstseins-Workshop „Küssen und mehr...“ mit den Mädchen aus der Lebenshilfe Salzburg und der Orientierungshilfe des evangelischen Diakonievereins verlief sehr angeregt. Beim Besuch der First Love Ambulanz mit jungen Frauen mit Behinderungen stand die gynäkologische Untersuchung im Mittelpunkt. Die Frauenärztin Dr. Gerlinde Akmanlar-Hirscher hat die Teilnehmerinnen aus erster Hand informiert.

„Die Stärkung der Selbstbestimmung und das Ausloten der eigenen Grenzen ist vor allem für Mädchen und Frauen mit Behinderungen wichtig. Gerade weil sie auf Unterstützung und Hilfe Anderer angewiesen sind, lassen sie sich selber oft klein machen“ schildert die Leiterin des Referats für Behindertenangelegenheiten des Landes Salzburg, Christiane Hofinger, ihre Erfahrungen.

2005: Sensibilisierung der Behörden – „Die wahren Barrieren sind im Kopf“
Auf Anregung des Projekts „Frau sein mit Behinderungen“ bietet die Verwaltungsakademie des Landes Salzburg am 20. April 2005 einen Intensiv-Workshop für MitarbeiterInnen der Landes-, Gemeinde- und Stadtbehörden an: „Die wahren Barrieren sind im Kopf: KundInnen mit Behinderung – wie gehe ich damit um?“ Für die Behindertenbeauftragte der Stadt Salzburg Alexandra Piringer ist dieses Angebot schon längst fällig: „Immer wieder berichten Frauen und Männer mit Behinderungen von negativen Erfahrungen bei Behörden-Kontakten. Dabei ist es nicht so sehr die Ignoranz, sondern vielmehr die Unsicherheit der Behörden-MitarbeiterInnen. Die Information über die speziellen Bedürfnisse von KundInnen mit Behinderung steht daher im Mittelpunkt des Tages und soll die TeilnehmerInnen sensibilisieren.“ Ziel ist der diskriminierungsfreie Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern. Informationen dazu und Anmeldung: Salzburger Verwaltungsakademie, Telefon 0662 8042-5661, www.salzburg.gv.at/verwaltungsakademie.htm

Alle Informationen zum Projekt sind auf der Homepage nachzulesen: www.salzburg.gv.at/frau_behinderung
Nähere Infos unter: Büro für Frauenfragen & Chancengleichheit des Landes Salzburg, Mag. Martina Berthold Telefon 0662/8042-4044 oder Frauenbüro der Stadt Salzburg, Mag. Dagmar Stranzinger Telefon 0662/8072-2045

Stockklauser, Doris (11451)