Jetzt erst recht: Pflege braucht Taten

05.09.2023
Kurzfristige Reformen mit langfristigen Verbesserungen:
Stadträtin Andrea Brandner und ihr Team aus der Sozialverwaltung (Patrick Pfeifenberger und Benjamin Braunstein) präsentieren das Schwerpunktprogramm „Pflege braucht Taten“ als konstruktiven Beitrag

Stadträtin Andrea Brandner: “Kurzfristige Reformen mit langfristigen Verbesserungen!“
Über den Sommer hinweg besuchte die neue Sozialstadträtin rund 50 Sozialeinrichtungen in der Stadt. Viele Gespräche drehten sich um die aktuellen personellen Herausforderungen im Sozialbereich allgemein, die Zukunft der Betreuung und Pflege in Salzburg im speziellen und wie die aktuellen Herausforderungen bewältigt werden können.  

Stadt präsentiert Sofortmaßnahmenpaket für Pflege und Betreuung
Als Betreiberin von fünf Seniorenwohnhäusern ist die Stadt die größte Anbieterin an Pflege- und Betreuungsplätzen im Zentralraum. Aktuell gilt es im Pflegebereich rasch tätig zu werden, um Missstände zu verhindern. Einig sind sich alle, dass Pflege und Betreuung ein essenzieller und sinnstiftender Beruf sein kann, der seit langem unter schwierigen Bedingungen leidet. Die Situation verschärfe sich tagtäglich aufgrund der anhaltenden vielschichtigen Probleme, warnt Stadträtin Andrea Brandner. „Nach wie vor ist die Situation sehr ernst. Prognosen der Expert:innen zeigen, dass mit der anstehenden Pensionierungswelle der ‚Babyboomer‘ noch einmal Druck ins System kommen wird. Ohne rapides Gegensteuern und konkreter Maßnahmen wird es unter diesen Umständen schwierig sein, alle dementsprechend versorgen zu können“, so Brandner.
Die Antwort der Stadt ist ein Schwerpunktprogramm, bei dem es aber die Mitwirkung aller Beteiligten braucht. „Ohne gemeinsame Kraftanstrengung wird es nicht gehen. Uns allen muss Pflege und Betreuung mehr wert sein“, sagt Andrea Brandner und fordert vom Bund neben der Pflegemilliarde zusätzliche Mittel und grundlegende Gesetzesreformen als erste Sofortmaßnahmen.

Entrümpeln: Reduktion sinnloser Dokumentation - Empowerment für Pflegekräfte 
In einer Befragung unter den städtischen Pflegekräften wurde immer wieder angeführt, dass die überbordende Dokumentation als „brutales“ Hemmnis für die Arbeit empfunden wird. Die stadtinternen Expert:innen schätzen, dass durch eine Verschlankung der Dokumentationserfordernisse pro Bewohner:in täglich rund bis zu zehn Minuten für die Arbeit an- und mit den Menschen gewonnen werden könnte. Bei 700 Bewohner:innen bedeutet das 116 Stunden mehr Zeit für die Bedürfnisse der Bewohner:innen pro Tag, ohne dass es zu einem Qualitätsverlust kommt. Ebenfalls eine (zeitliche) Entlastung könnte ein „Empowerment“ der Pflegekräfte im Bereich der Medikamentengabe/Medizinprodukte bringen. Derzeit dürfen ausgebildete Pfleger:innen Arzneimittel nur auf ärztliche Anordnung hin an Bewohner:innen verabreichen.  Da es hier derzeit immer wieder zu Lieferengpässen kommt, müssen die Medikamentenpläne immer wieder angepasst werden. Selbst Inkontinenzprodukte oder Rollstühle müssen zumindest vor der ersten Verwendung einmal von einem Mediziner angeordnet werden. Das kostet Energie und Zeit – sowohl auf Seiten der Pflege als auch auf Seiten der Hausärzte. Hier müssten die zuständigen Gesetzgeber von Bund und Land die rechtlichen Rahmen anpassen um somit für österreichweite enorme Entlastungen und Erleichterungen zu sorgen. 

Gründung einer Onboarding-Stelle für Sozialberufe – Stadt zur Unterstützung bereit
„Dringender denn je braucht es die Onboarding-Stelle für neue Arbeitskräfte in Salzburg“, wiederholt Stadträtin Brandner ihre Forderung aus dem Sommer. Alle Bemühungen eine zentrale Stelle durch den Bund zu schaffen sind bisher gescheitert. Die Hürden am Arbeitsmarkt (Stichwort: Nostrifizierung etc.) sind  - meistens gesetzlich - hoch und komplex ausgestaltet. Immer wieder kommt es vor, dass im Ausland ausgebildete Pflegekräfte in Österreich lediglich als Betreuungsperson arbeiten dürfen, oder dass in Österreich ausgebildete Pflegekräfte in weiterer Folge keine Arbeitserlaubnis erteilt bekommen. Hier muss inhaltlich, aber auch systemisch dringend etwas geändert werden. Anstatt in Form einzelner „Notlösungen“ mit Arbeitsvermittlungsagenturen, sollen hier die Anstrengungen gebündelt werden, und das Land die nach der Regierungsklausur angekündigte Onboarding-Stelle zeitnah umsetzen. Die Stadt stehe jedenfalls bereit, um mit ersten konkreten Planungen zur Ausgestaltung einer solchen Stelle mit Know how und Infrastruktur zu unterstützen.

Denn um Pflegekräfte effektiv anzuwerben, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Im Interesse von Arbeitgeber:innen und Pflegefachkräften gleichermaßen braucht es transparente Regelungen sowie schnelle und verlässliche Verfahren , die eine Niederlassung und Nostrifizierung in kürzester Zeit ermöglichen. Hier könnten Erfahrungen aus dem Tourismus in das Konzept für das Onboarding-Zentrum für Sozialberufe einfließen.

Ein neues Haus in Lehen
Bekanntlich laufen Gespräche zwischen Stadt und einem privaten Betreiber eine Einrichtung in Lehen zu übernehmen und dann als sechstes Seniorenwohnhaus der Stadt zu führen. Die private Betreiberfirma gab bekannt, dass sie die Einrichtung nur noch bis 2024 zu führen bereit ist. Daher arbeiten alle Beteiligten an verschiedensten Lösungsansätzen. Ziel bleibt die Einrichtung unter neuen Rahmenbedingungen, Qualitätsanforderungen und neuen Namen weiterzuführen.

Sozialhilfe: Finanzierungsmodell ändern, Ressourcen effizienter nutzen
Die aktuelle – aus den 70er Jahren des vorigen Jahrtausend stammende - rechtliche Situation stellt Bewohner:innen gleichermaßen wie Träger-Organisationen vor einen Verwaltungsaufwand. Darüber hinaus ist die Prüfung, ob die Kosten für die Unterbringung einer pflegebedürftigen Person eigenständig getragen werden können oder ob ein Antrag auf Sozialhilfe zu gewähren ist, angesichts der aktuellen Selbstzahlerstatistik von leidglich zwei bis drei Prozent  auch auf Verwaltungsebene ineffizient. Anstatt die wenigen Selbstzahler:innen ausfindig zu machen, sollten diese Zeit und Geld sinnstiftender eingesetzt werden. Ab dem Tag des Einzugs sollten die Kosten für ausnahmslos alle Bewohner:innen vom Land übernommen werden. In einem nachgelagerten, vereinfachten Verfahren wären sodann nur mehr die Einkommen und die daraus resultierenden Eigenanteile zu ermitteln Das würde sowohl bei den Bewohner:innen als auch bei den Trägern der Einrichtungen zu einer nachhaltigen Entlastung führen. Dieses Modell setzt natürlich umso mehr die Zahlung kostendeckender Tarife voraus. Diese Maßnahme würde zu einer wesentlichen Verfahrenserleichterung beitragen.  

Karrieremodell der Stadt ausrollen
Die Stadt bietet bereits seit mehreren Jahren die vollfinanzierte Ausbildung von Pflegekräften bei vollem Lohnausgleich und innerhalb der Arbeitszeit an. Dieses Karrieremodell wird von den Mitarbeiter:innen gut angenommen. Die für die Ausbildung notwendige Zeit wird ihnen als Dienstzeit gewährt, so dass sie sich ohne Sorge um ihr finanzielles Auskommen weiterbilden können. Aktuell werden über dieses Model 25 Kolleg:innen ausgebildet. Weitere starten im Herbst in die Ausbildung. Diese Vorgehensweise könnte man problemlos landesweit ausrollen. Derzeit werden die Ausbildungskosten von der Stadt übernommen, ohne diese über die Tagsätze vom Land abgegolten zu bekommen. Ein Vorschlag der Stadt ist, dass die anfallenden Kosten der Ausbildungskraft (ca. 40.000 Euro pro Jahr) allen Träger-Organisationen direkt vom Land refundiert werden. So bleiben diese Fortbildungskosten nicht an den engagierten Pflegekräften die sich weiterbilden wollen, oder an den Trägerinnen hängen.

Für Lehrberuf „Pflege“: Land „vergaß“ Nominierung
Für Jugendliche wird es eine Pflegelehre in ganz Österreich geben. Sie wird vier oder drei Jahre dauern und mit einem Lehrabschluss als Pflegefachassistenz bzw. Pflegeassistenz enden. In der Stadt laufen die notwendigen Abstimmungsgespräche mit dem Personalamt und der Wirtschaftskammer. Die notwendigen Verordnungen dafür sind mit September in Kraft getreten. In Salzburg ist aber kein Start möglich, weil für die Genehmigung als Lehrbetrieb „ein vom Landeshauptmann zu nominierender Sachverständige/r für die Pflegeausbildung“ beizuziehen ist. Die Landesregierung hat nach vorliegenden Informationen – Stand heute, 5. September 2023 – noch keinen nominiert. Ziel der städtischen Einrichtungen ist es, in einem ersten Schritt rund fünf „Pflege-Lehrlinge“ aufzunehmen.

Arbeitserleichterung für mobile Dienste
Mobile Dienste sind ein wichtiges Standbein der Pflege und dürfen nicht immer das Schlusslicht aller Überlegungen sein. Auf die Arbeit der mobilen Dienste und Teilstationären wird aber allzu oft vergessen. Auch hier braucht es Formen der Entbürokratisierung sowie smarte Digitalisierungslösungen. Es ist nach Maßgabe der Expert:innen nicht sinnvoll, dass nur ausgebildete Pflegekräfte eine Heilsalbe auftragen dürfen.

Mehr Lebensqualität für Bewohner: innen von Seniorenwohnhäusern
Bislang finden Aufsichtsbesuche durch das Land in Form von Begehungen und Überprüfungen nach einem Katalog statt, eine bloße Begutachtung des aktuellen Zustandes erachtet die Stadt als Trägerin jedoch nicht für ausreichend. Stadträtin Brandner fordert daher die Schaffung einer „Innovationsplattform Pflegequalität“, welche sich laufend mit Verbesserungsmöglichkeiten, Best-Practice-Beispielen und einer Steigerung der Lebensqualität für Bewohner:innen in Seniorenwohnhäusern unter Einbindung aller Betroffenen (Bewohner, Angehörige, Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen) beschäftigt. Die Stadt geht hierbei bereits mit dem Projekt „Sind wir sein, wie ich bin?“ einen weiteren Schritt, um für Bewohner: innen der städtischen Seniorenwohnhäuser eine bestmögliche Qualität zu gewährleisten. Unter diesem Titel verbirgt sich ein Programm des „Job-Shadowings“, um persönliches Feedback zur eigenen Arbeit durch die externe Begleitung von Expert:innen zu bekommen. 

Aufnahme in Seniorenwohnhaus: Reihung erfolgt nach objektiven Kriterien
Mit Stand September warten in der Stadt 245 Personen auf einen Betreuungsplatz. Die Reihung erfolgt – nach einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahr 2021 – nach objektiven Kriterien (s. a. Amtsbericht mit der Nummer 03/04/10907/2021/006 Amtsbericht – Zuweisung Seniorenwohnhäuser Neu Teil II). Auch hier erscheint den Verantwortlichen der Stadt sinnvoll, dass es neue gesetzliche Rahmen und damit eine landesweite Lösung für etwaige Übernahmen im Einzelfall gibt. So hat die Stadt mit der Gemeinde Grödig eine privatrechtliche Einzelvereinbarung, die solche Übernahmen – auch finanziell – regelt. Auf dieser Basis könnte man das Gesetz abändern, um mehr Flexibilität zu bekommen. Dabei ist der Landesgesetzgeber am Zug.
„Wir wollen möglichst allen Menschen ein würdevolles Altern ermöglichen. Dazu braucht es aber mehr Taten von Bund und Land. Mit unseren Vorschlägen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Lösung der akuten Situation im Bereich der Pflege und Betreuung. Wir als Stadt können das aber nicht allein stemmen!“, so Stadträtin Brandner und ihr Team.

Die Situation in der Stadt – Pflege braucht auch Daten:

  • Aktuell stehen in den fünf städtischen Seniorenwohnhäusern in Summe 627 Plätze zur Verfügung. Dies teilen sich wie folgt auf: Hellbrunn 171, Itzling 113, Liefering 107, Nonntal 96, Taxham 140. Mit Stand Ende August sind davon 556 belegt und bei 10 weiteren läuft gerade der Zuweisungs-/Aufnahmeprozess (knapp 90%)
  • Personal: Der MA 3/04 – Senioreneinrichtungen sind gesamt 555 Vollzeit-Äquivalente zugeordnet. Davon allein im Bereich der Pflege über alle Berufsgruppen 261 VZÄ. Mit Stand 25.08. sind 222 VZÄ besetzt (davon ca. 49 mit DGKP ohne Führungskräfte).
  • Diese Anzahl der Mitarbeiter:innen ist seit Jänner 2023 in etwa konstant (Jänner 2023 352 Köpfe bzw. ca. 222 VZÄ, August 2023 358 Köpfe bzw. 222 VZÄ). Dies ergibt sich einerseits auf der „Negativ-Seite“ aufgrund von Pensionierungen/Karenzen/Wechsel und andererseits auf der „Positiv-Seite“ aufgrund des „Karrieremodels“ und der Übernahme der Mitarbeiter:innen aus dem „Herz-Jesu-Heim“.
  • Im Herbst 2023 werden noch fünf Kolleg:innen in die FSB-A Ausbildung einsteigen (somit sind 20 Kolleg:innen in dieser Ausbildung im Rahmen des Karrieremodels in der beruflichen Weiterentwicklung) und acht Kolleg:innen werden in die Aufschulung vom PA zum DGKP am BFI aufgenommen.
  • Trotz unveränderter Personalsituation konnte im selben Zeitraum die Anzahl von betreuten Bewohner:innen von 526 (Jänner.23) auf 556 (+30) erhöht werden.
  • Da zwischen 01.01. und 24.08. auch 110 Menschen, die bei uns wohnhaft gewesen sind, verstorben sind, wurden seit 01.01.2023 140 Menschen (ohne Kurzzeitpflege) neu aufgenommen.
  • Derzeit erreichen die Stadt monatlich ca. 6-10 Bewerbungen im Pflegebereich – ein Teil davon ist aber aufgrund fehlender Voraussetzungen (fehlende Berufsausbildungen, fehlende Nostrifikation bzw. fehlender Möglichkeit zur Nostrifikation – bspw. Ausbildung nicht vergleichbar u.ä.) nicht sofort einsetzbar.
  • Von den Bewerber:innen, die die Voraussetzungen erfüllen, möchte ein Teil seinen „Marktwert“ austesten oder ist bereits in der Bewerbungsphase unzuverlässig. (fehlende Rückmeldungen, Nicht-Einhalten von Vorstellungsgesprächen) Alle anderen stellt die Stadt nach Möglichkeit auch zeitnah ein. Derzeit ist bei den Erleichterungen am Arbeitsmarkt noch wenig Wirkung erkennbar (liegt aber vermutlich daran, dass ein Teil der Bewerber:innen Ausbildungen mitbringt, die aufgrund Ausbildungsumfang kaum Chancen zur Nostrifikation haben bspw. Besuch einer Medizinisch-Bauchtechnische Schule, fünf Monate Pflegeausbildung, u.ä.).

Höfferer Jochen MA