Wohnbedarf verstehen: Salzburg bringt Erfahrung in europäisches Forschungsprojekt ein

Bürgermeister-Stellvertreter Kay-Michael Dankl, Philipp Schnell (ÖAW), Peter Linhuber und Heinz Schoibl (beide Forum Wohnungslosenhilfe; v.l.n.r.) stellen das Projekt "European Homelessness Count" vor.
Wie viele Menschen leben ohne sicheren Wohnraum? Und wie lässt sich ein Problem messen, das oft im Verborgenen bleibt? Seit fast 30 Jahren liefert das Forum Wohnungslosenhilfe Salzburg mit der Wohnbedarfserhebung regionale Antworten auf genau diese Fragen. Ab diesem Jahr kann die langjährige Erfahrung auch in ein europäisches Vorhaben einfließen. Salzburg beteiligt sich am European Homelessness Count, einem EU-weiten Forschungsprojekt zur besseren Erfassung von Wohnungslosigkeit.
Im Rahmen einer Pressekonferenz am 30. Juni im Schloss Mirabell wird das Projekt European Homelessness Count der Öffentlichkeit vorgestellt. Um das Thema greifbarer zu machen, präsentiert das Forum Wohnungslosenhilfe Salzburg im selben Rahmen auch die aktuelle Wohnbedarfserhebung 2024. Fachliche Beiträge kommen aber nicht nur vom Forum selbst, sondern auch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die das EU-Projekt wissenschaftlich koordiniert und begleitet.
„Wohnungsnot lässt sich nur dann langfristig bekämpfen, wenn wir gemeinsam handeln und auf verlässliche Daten bauen. Genau deshalb bringt Salzburg seine Erfahrung in das europäische Forschungsprojekt ein“, sagt Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl.
Wohnbedarfserhebung 2024: Forum Wohnungslosenhilfe liefert aktuelle Daten
Die Wohnbedarfserhebung 2024 wurde vom Forum Wohnungslosenhilfe organisiert und ausgewertet. Diese Datenerhebung gibt es in Salzburg bereits seit 1995. Sie wurde zunächst vom Sozialberaterteam der integrativen Notschlafstelle durchgeführt und später vom Forum Wohnungslosenhilfe weitergeführt. Seit 2016 wird sie zudem auf das gesamte Bundesland Salzburg ausgeweitet.
Die Grundlage der Erhebung bilden Rückmeldungen aus sozialen Einrichtungen in Stadt und Land Salzburg. Sie vermitteln ein umfassendes Bild über verschiedene Formen von Wohnungslosigkeit, die im Alltag oft übersehen werden.
Heinz Schoibl erläutert: „Die Wohnbedarfserhebung ist das Ergebnis einer konsequenten Vernetzung von Sozial- und Gesundheitseinrichtungen und versteht sich als Sensorium gleichermaßen für die Entwicklung von Problemlagen als auch für die (selbst-)kritische Überprüfung der Wirksamkeit von Wohnungslosenhilfe und Politik gegen Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit.“
Wohnungsnot hat viele Formen
Die Wohnbedarfserhebung 2024 macht deutlich, wie unterschiedlich und oft wenig sichtbar Wohnungsnot in Salzburg tatsächlich ist. Sie betrifft Menschen, die auf der Straße leben, ebenso wie jene, die in Autos oder Garagen übernachten, bei Bekannten und Verwandten unterkommen, in Notquartieren leben oder in Wohnungen mit schweren baulichen Mängeln oder starker Überbelegung ausharren. Auch Menschen in unsicheren Wohnverhältnissen, etwa ohne Mietvertrag oder bei drohendem Wohnungsverlust, sind betroffen.
Ob sichtbar oder verborgen, jede dieser Lebenslagen ist von Unsicherheit, Stress und oft auch Scham geprägt. Die Erhebung zeigt, dass Wohnungsnot viele Formen annehmen kann, aber für alle Betroffenen eine existenzielle Belastung bedeutet. Auffallend ist auch der große Anteil nicht erfasster Gruppen. Obwohl Frauen laut Erkenntnissen aus der Armutsforschung besonders stark von Wohnungslosigkeit betroffen sind, machen sie in der Erhebung nur rund 35 Prozent aus – ein Hinweis auf verdeckte Notlagen. Auch junge Erwachsene und Menschen in ländlichen Regionen sind unterrepräsentiert, was auf eine hohe Dunkelziffer hinweist. Zusätzlich verschärfen soziale Kipppunkte wie Räumungsklagen und Delogierungen die Lage.
„Wohnungslosigkeit ist häufig von Stereotypen und Stigmatisierung geprägt, zeigt sich in Wirklichkeit aber in sehr unterschiedlichen Formen. Die Rückmeldungen aus der Praxis deuten darauf hin, dass viele Betroffene in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht vorkommen“, sagt Peter Linhuber vom Forum Wohnungslosenhilfe.
Salzburg bringt Erfahrung in den European Homelessness Count ein
Mit der Teilnahme am European Homelessness Count 2025 (EHC) geht Salzburg einen wichtigen Schritt in Richtung europäischer Zusammenarbeit. Ziel des Projekts ist es, das Ausmaß von Wohnungslosigkeit in europäischen Städten besser zu erfassen.
Koordiniert wird das Projekt von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Salzburg gehört zu den Pilotstädten, die ihre langjährige Erfahrung mit lokalen Erhebungen in den Austausch einbringen. Auch Innsbruck ist als weitere österreichische Stadt am Projekt beteiligt, und bringt dabei erstmals eigene Erhebungen ein. Es wird mit abgestimmten Vorgangsweisen gearbeitet, die auf die sozialen Realitäten und Gegebenheiten vor Ort Rücksicht nehmen.
„Der European Homelessness Count bringt Städte und Forschungseinrichtungen in ganz Europa zusammen, um Wohnungslosigkeit in unterschiedlichsten Ausprägungen besser zu erfassen. Die ÖAW begleitet das Projekt wissenschaftlich und unterstützt Städte wie Salzburg und Innsbruck dabei, ihre lokalen Erkenntnisse in eine gemeinsame europäische Wissensbasis einzubringen“, sagt Philipp Schnell von der ÖAW.
Auch internationale Netzwerke wie EU-EPOCH, ein europäischer Zusammenschluss von Städten und Forschenden zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, oder die OECD, sind in das Projekt eingebunden. Salzburg profitiert vom Austausch mit Expert:innen aus ganz Europa und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag dazu, dass Wohnungsnot auch auf europäischer Ebene sichtbarer wird und besser verstanden werden kann.
Tobias Neugebauer