Alt und ohne Hilfe? Die psychosoziale Versorgung alter Menschen
In den fünf Altenpflegeheimen der Stadt Salzburg (Seniorenheime Hellbrunn, Nonntal, Itzling, Liefering und Taxham) leben derzeit ca. 900 SeniorInnen mit einem Durchschnittsalter von 85 Lebensjahren. Sie werden von ca. 500 MitarbeiterInnen in allen Bereichen betreut. Diese bein-halten Wohnen, Verpflegung, Betreuung und Pflege sowie medizinisch-therapeutische Leistun-gen. Die Seniorenheime sind in der MA 4 zusammengefasst (Abteilungsvorständin: Mag. Dr. Anna Sieglinde Briedl, Ressortchef: Bürgermeister-Stellvertreter Ing. Dr. Josef Huber).
Die Lebenssituation alter Menschen im Seniorenheim stellt sehr hohe Anforderungen an die Be-troffenen und führt zu teils enormen physischen und emotionalen Belastungen“, stellt DDr. Randolf Messer, der ärztliche Leiter der städtischen Seniorenheime, fest.
Diese psychischen Belastungen können auf Grund verschiedener Umstände auftreten: als Be-wältigungsproblematik der im Alter sehr häufig bestehenden Vielfacherkrankungen und bei chronischen Erkrankungen, für die keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Dabei fällt es vielen SeniorInnen schwer zu akzeptieren, dass sie zur Bewältigung ihres Alltags auf fremde Hilfe an-gewiesen sind, weil ein Zustand von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit eingetreten ist.
Da sich die meisten Menschen wünschen, ihren Lebensabend in der vertrauten häuslichen Um-gebung zu verbringen, bedeutet die Notwendigkeit des Heimeinzuges – oftmals der letzte Woh-nungswechsel in ihrem Leben – eine schwere Belastung. Denn damit wird auch deutlich, dass es nicht mehr viele verbleibende Zukunftsperspektiven gibt.
So sehr sich die Rechtsträger von Seniorenheimen und deren MitarbeiterInnen bemühen, den Heimalltag so individuell und den Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, bleiben doch gewisse Zwänge, die mit dem Wohnen in einer Gemeinschaft verbunden sind. Das Zusammenleben mit Menschen, denen es teilweise noch schlechter geht führt den Einzelnen täglich vor Augen, was auch einmal ihr Schicksal sein könnte oder wird – zum Beispiel, wenn plötzlich der Nachbar aus dem Nebenzimmer nicht mehr da ist.
Lebensabend heißt auch Konfrontation mit Verlusten
Vielfach sind die alten Menschen an ihrem Lebensabend mit einer Reihe von Verlust-Erlebnissen konfrontiert, seien es körperliche, psychische oder soziale, wie zum Beispiel die Abwendung oder der Tod naher Angehöriger.
Neben den oben erwähnten psychosozialen Belastungen, die jede/n BewohnerIn treffen können, leben in den Heimen rund 15 Prozent SeniorInnen mit einer psychiatrischen Erkrankung (De-pression, Angsterkrankung, Schizophrenie, Bipolare Störung), ca. 60 Prozent leiden an einer Demenzerkrankung unterschiedlicher Ausprägung.
Mit all diesen Facetten möglicher psychischer Belastungen alter Menschen muss das Betreu-ungs- und Pflegepersonal zurecht kommen. Täglich müssen sie aufs Neue den Alltag meistern helfen und nicht zuletzt auch Hoffnung vermitteln. Dabei sehen sich die MitarbeiterInnen nicht nur mit den Anforderungen der BewohnerInnen und deren Angehörigen, sondern auch jenen des Dienstgebers und der Berufsgesetze konfrontiert.
Dies stellt für die MitarbeiterInnen eine schwere Aufgabe dar, für deren erfolgreiche Bewälti-gung neben einer umfassenden Ausbildung auch ein hohes Maß an persönlicher psychosozialer Kompetenz erforderlich ist.
Aus dem bisher Geschilderten wird deutlich, dass zum Wohle der SeniorInnen und Mitarbeite-rInnen im Heimbereich folgende speziell ausgebildete Berufsgruppen vermehrt bzw. überhaupt zum Einsatz kommen sollten: PsychiaterInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen und So-zialarbeiterInnen.
Österreichweit fehlen jedoch noch dafür notwendige Rahmenbedingungen wie:
• ausreichend gerontologisch qualifizierte Zugehörige der oben angeführten
Berufsgruppen
• gesellschaftliche Anerkennung der Altenarbeit sowie Bereitschaft und
Anreize, überhaupt mit alten Menschen arbeiten zu wollen
• Geklärte Finanzierung dieser psychosozialer Leistungen
• Abbau von Barrieren und Vorbehalten bei SeniorInnen, Angehörigen und
Pflegepersonal, psychosoziale Dienste überhaupt in Anspruch zu nehmen
Kooperation von Stadt und Universität Salzburg
Daher haben sich die Seniorenheime der Stadt Salzburg u.a. den Umstand zu Nutze gemacht, dass an der Universität Salzburg am Fachbereich Psychologie (mit deren Beratungsstelle) unter Leitung von Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Urs Baumann ein Gerontopsychologischer Schwerpunkt ge-setzt wurde. Seit 1997 besteht nun eine intensive Kooperation. Diese kommt sowohl der Be-wohnerversorgung als auch der qualitativen Kompetenz des Pflegepersonals durch fachliche Beratung zugute, und zwar durch das sogenannte Psychotherapieprojekt und das klinisch-gerontopsychologische Konsiliar-Liaisondienst-Modell.
Ein weiterer Kooperationsbestandteil liegt in der Schulung der Zivildiener, die um den wichtigen Bereich des Schulungsblockes „Psychologie des Alterns“, verbunden mit einem Selbsterfah-rungsanteil für Zivildiener, ergänzt wurde.
Umgekehrt stehen die Seniorenheime der Universität für empirische Untersuchungen im Rah-men von Seminararbeiten, Diplomarbeiten und Dissertationen zu relevanten Seniorenthemen zur Verfügung. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse finden in der Folge in der Praxis wieder ihren Niederschlag. Diese fruchtbare Verbindung der Seniorenheime der Stadt Salzburg mit dem Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg stellt eine österreichweit einzigartige Koopera-tion dar.
Alt und ohne Hilfe?
Alle reden über das Alter, aber die Vorstellungen darüber, wie alt Alte wirklich sind, gehen weit auseinander. „Heute beginnt das tatsächliche Alter ab 80“, sagt Dr.Dr.h.c. Urs Baumann, Uni-versitätsprofessor für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Gesundheitspsychologie an der Universität Salzburg. Gemeinsam mit Universitätsprofessor Dr. Anton-Rupert Laireiter beschäf-tigt er sich seit rund zehn Jahren mit Gerontopsychologie.
Baumann und Laireiter betreuen in Zusammenarbeit mit der Magistratsabteilung 4/00 Bewoh-nerInnen von Seniorenheimen. „Unser Ziel ist es, die Lebensqualität der alten Menschen zu verbessern“, sagt Laireiter. 30 bis 40 Prozent der älteren Menschen sind durch den kognitiven Abbau beeinträchtigt, mitunter leiden sie an Alzheimer oder Parkinson. Eine psychologische Therapie bekommt dann häufig den Aspekt des Kampfes gegen den körperlichen und geistigen Verfall. Die Krankheiten selbst könne die Psychologie zwar nicht heilen, aber durch regelmäßige Gespräche, dem Eröffnen von neuen Lebensräumen, kann der Alltag erheblich angenehmer und lebenswerter gestaltet werden.
Am Freitag, 29. Februar, findet ein Symposium anlässlich der zehnjährigen Zusammenarbeit von Stadt und Universität Salzburg zur Betreuung alter Menschen in Seniorenheimen statt (9 bis 17.30 Uhr, Audi Max der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Hellbrunnerstraße 34). Im Sym-posion werden die verschiedenen psychologischen Probleme, die im Alter entstehen können, diskutiert:
Verluste – ein zentrales Thema der Depression
Chronische Erkrankungen führen oft zu psychischen Problemen mit depressiven Störungen, da ältere Menschen viel mehr Verluste hinnehmen müssen als jüngere. PartnerInnen, Verwandte und Bekannte sterben, manchmal sogar Kinder. Wohnraum schrumpft zusammen – auf ein Zim-mer, in Pflegestationen gar nur mehr auf ein Bett.
Hier setzt Baumann mit therapeutischen Maßnahmen an. „Es geht sowohl um psychische Prob-leme als auch um die Bewältigung von Krankheiten.“ So kann etwa Parkinson, eine Krankheit, bei der die Motorik immer defekter wird, nicht mit Psychotherapie behandelt werden, aber die damit zusammen hängenden Depressionen und der Umgang des Patienten mit der Krankheit kann verbessert werden. Mit regelmäßigen Gesprächen kann für den Betroffenen wieder ein lebensbejahendes, aktiveres Umfeld geschaffen werden. „Denn es wirkt heilend, wenn ich über das, wovor ich Angst habe und was mir Sorgen bereitet, sprechen kann“, betont Laireiter. De-pressive mögen viele Dinge nicht mehr machen und man kann nicht warten, bis sie mögen. „Wir versuchen mit dem Patienten neue Verhaltensweisen zu gewinnen und ermuntern sie zu regel-mäßigen Tätigkeiten.“ So werden etwa Bewegungsprogramme für Ältere erstellt. Ein weiteres Ziel ist, dass die Menschen mit Schmerz besser umgehen können.
Auch das Pflegepersonal muss betreut werden
In der psychotherapeutischen Behandlung erweist sich das Abgrenzen von Demenz und Depres-sion als schwierig, da die Personen oft verwirrt sind. Und die Verwirrtheitszustände können so-wohl mit körperlichen Erkrankungen zusammenhängen als auch mit der Depression. Hinzu
kommt, dass ältere Menschen von Depressionen nichts wissen wollen und die Hilfe eines Psy-chotherapeuten ablehnen. „In solchen Fällen arbeiten wir intensiv mit dem Pflegepersonal zu-sammen“, so Baumann.
Diese Zusammenarbeit ist doppelt wichtig, da auch die BetreuerInnen Schulung und Unterstüt-zung benötigen. Denn alte Menschen haben oft Verhaltensstörungen, die das Zusammenleben erschweren. BetreuerInnen müssen hier lernen, Beleidigungen und Beschimpfungen als Zeichen einer psychischen Störung zu erkennen und sie nicht persönlich zu nehmen. Vielfach führen solche Stresssituationen beim Pflegepersonal zu einem Burnout.
Außerdem sei es wichtig, auch Angehörige in die Behandlung zu integrieren. Etwa wenn es dar-um geht, dass jemand seinen Haushalt auflöst und in ein Seniorenheim übersiedelt. Für viele ist der Übergang in ein Seniorenheim ein Schock. Sich dort neu zu orientieren und zurecht zu fin-den erweist sich als schwierig. Angehörige könnten hier abfedernd einwirken und die Befindlich-keit der Betroffenen verbessern.
Spiritualität, Seelsorge und Psychotherapie im Alter
Der Prior und Psychotherapeut Dr. Johannes Pausch vom Kloster Gut Aich beschäftigt sich mit der Spiritualität und Seelsorge im Alter. „Jeder Mensch, ganz gleich ob er sich selbst als Gläubi-ger oder Atheist bezeichnet, gleich welcher Religion er angehört, macht spirituelle Erfahrungen, die als solche anerkannt und wertgeschätzt werden müssen“, betont Pausch. Spiritualität will dem Leben Raum geben und Leid verwandeln. Ziel aller Religionen könne nicht Leid und Tod, sondern die Verwandlung, die Transformation sein.
Pausch zählt die Grundhaltungen für eine Seelsorge für alte Menschen: Die Würde und Freiheit des Menschen sei zu achten; menschliche Grundhaltungen brauchen Raum, Zeit, Kraft und ha-ben Grenzen; Seelsorge sei nicht nur Versorgung, sondern wenigstens in Teilen Ausdruck der Solidarität mit den Menschen und seinem Leben. Erfülltes Leben ist nicht nur Jugend, Gesund-heit, Wohlstand und Mobilität. Zum Leben gehört auch Alter, Krankheit, Leid und Tod. Mit allen Seiten und Erfahrungen des Lebens in Beziehung zu sein ist das Ziel der Spiritualität und der Seelsorge.
Stockklauser, Doris (11451)