Pflege: "Es ist fünf nach zwölf" - Taten statt Worte

Stadträtin Andrea Brandner: “Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt für die Pflege“
08.02.2024
Wie geht es mit der Pflege weiter?
Stadträtin Andrea Brandner gab heute einen Ausblick für die Stadt Salzburg.

Bei den regelmäßig stattfindenden Gesprächsrunden mit mobilen und stationären Pflegeeinrichtungen auf Initiative von Sozialstadträtin Andrea Brandner zeigt sich: Die Situation in der Pflege ist nach wie vor angespannt. „Ohne das große Engagement der Mitarbeiter:innen und dem unermüdlichen Einsatz pflegender Angehöriger könnten wir eine Versorgung in diesem Maße nicht mehr sicherstellen“, so Brandner. Nach wie vor ist das Ziel, die Versorgung von pflegebedürftigen Personen zu gewährleisten.

Welcome Center: Stadt und Land planen Pilotprojekt

„Dringender denn je braucht es die Onboarding-Stelle für neue Arbeitskräfte in Salzburg“, wiederholt Brandner ihre Forderung aus dem Sommer. Alle Bemühungen, eine zentrale Stelle durch den Bund zu schaffen, sind bisher gescheitert. Die Hürden am Arbeitsmarkt (Stichwort: Nostrifizierung) sind – meistens gesetzlich – hoch und komplex. Immer wieder kommt es vor, dass im Ausland ausgebildete Pflegekräfte in Österreich lediglich als Betreuungsperson arbeiten dürfen. Ebenso passiert, dass in Österreich ausgebildete Pflegekräfte in weiterer Folge keine Arbeitserlaubnis bekommen. Hier muss inhaltlich, aber auch systemisch dringend etwas geändert werden. Anstatt einzelner „Notlösungen“ mit Arbeitsvermittlungs-Agenturen sollen die Anstrengungen gebündelt werden, um die angekündigte Onboarding-Stelle zeitnah umzusetzen.

Im Anschluss an die Forderung an das Land Salzburg, gemeinsame Anstrengungen zur Schaffung eines Welcome-Centers zu forcieren, beauftragte Brandner die Expert:innen der städtischen Sozialabteilung mit der Erstellung eines Konzeptes für eine solche Stelle für die Stadt Salzburg. Dieses Konzept wurde im Jänner 2024 fertiggestellt.

Nach einem Arbeitsgespräch mit dem zuständigen Landeshauptmann-Stellvertreter Stefan Schnöll wird nun ein Team aus Expert:innen von Stadt und Land und weiteren relevanten Institutionen zusammengestellt. Sie sollen aus dem Konzept der Stadt ein mögliches Kooperationsmodell entwickeln.  

Pflegenotdienst: Versorgungslücke schließen

Die Mitarbeiter:innen der städtischen Seniorenberatung beraten und unterstützen soweit möglich Personen mit Pflegebedarf und deren Angehörige auf der Suche nach einer geeigneten Betreuung. In manchen Situationen passiert es aber, dass Personen mit Pflegebedarf zeitnah keine adäquate Versorgung bekommen. Mit einem Pflegenotdienst, wie von Brandner bereits angeregt, könnte hier die Versorgungslücke geschlossen werden. „Der städtische Pflegenotdienst würde es uns ermöglichen, Personen mit Pflegebedarf auch dann zu unterstützen, wenn zeitnah keine Betreuung durch andere Dienste sichergestellt werden kann“, so Brandner.

Ein neues Haus in Lehen

Bekanntlich laufen Gespräche zwischen der Stadt Salzburg und einem privaten Betreiber das Haus Senecura in Lehen zu übernehmen, um dieses als sechstes Seniorenwohnhaus der Stadt zu führen. Aktuell werden unter Einbeziehung von externen Expert:innen letzte Haftungsfragen geklärt. Stadträtin Brandner dazu: „Wir prüfen sorgfältig und genau, denn eine Übernahme darf sich später nicht als Last herausstellen.“

Entrümpeln: Reduktion sinnloser Dokumentation - Empowerment für Pflegekräfte 

In einer Befragung haben städtische Pflegekräften immer wieder angeführt, dass sie die überbordende Dokumentation als „brutales“ Hemmnis für ihre Arbeit empfinden. Die stadtinternen Expert:innen schätzen, dass durch eine Verschlankung der Dokumentations-Erfordernisse pro Bewohner:in täglich bis zu zehn Minuten mehr Zeit für die Arbeit an und mit den Menschen gewonnen werden könnte. Bei 700 Bewohner:innen wären das 116 Stunden mehr pro Tag für die Bedürfnisse der Bewohner:innen, ohne dass es zu einem Qualitätsverlust käme.
Ebenfalls eine (zeitliche) Entlastung könnte ein „Empowerment“ der Pflegekräfte bei der Medikamentengabe bringen. Derzeit dürfen ausgebildete Pfleger:innen Bewohner:innen nur auf ärztliche Anordnung Arzneimittel verabreichen. Da es hier immer wieder zu Lieferengpässen kommt, müssen die Medikamentenpläne immer wieder angepasst werden. Das kostet Energie und Zeit – sowohl bei der Pflege als auch bei den Hausärzten. Hier müssten die zuständigen Gesetzgeber von Bund und Land die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen, um österreichweit für Entlastungen zu sorgen. 

Buchungsplattform für Kurzzeitpflegeplätze – Entlastung pflegender Angehöriger

Aktuell bieten 31 von 74 Seniorenwohnhäusern Kurzzeitpflegeplätze an. Die Häuser, welche eine Kurzzeitpflege anbieten, sind auf der Website des Landes Salzburg ersichtlich. Die Verfügbarkeit für den gewünschten Zeitraum muss jedoch nach wie vor bei den Seniorenwohnhäusern einzeln angefragt werden. Dadurch hat die suchende Person einen hohen Aufwand, der mitunter zermürbend ist. Die Rechtsträger haben bereits eine Lösung seitens des Landes gefordert, aber bis heute besteht keine Möglichkeit einer zentralen Abfrage. Bereits im November 2023  forderte Brandner eine landesweite Buchungsplattform, die auf einen Blick zeigt, wann und wo ein Kurzzeitpflegeplatz verfügbar ist. „Es braucht hier dringend eine Umsetzung, um pflegende Angehörige zu entlasten“, so die Sozialstadträtin.

Sozialhilfe: Finanzierungsmodell ändern, Ressourcen effizienter nutzen

Die aktuelle – aus den 1970-er Jahren stammende - rechtliche Situation bei der Sozialhilfe stellt Bewohner:innen wie Träger-Organisationen vor einen Verwaltungsaufwand. Darüber hinaus ist die Prüfung, ob die Kosten für die Unterbringung einer pflegebedürftigen Person eigenständig getragen werden können oder ob ein Antrag auf Sozialhilfe zu gewähren ist, angesichts der aktuellen Selbstzahlerstatistik von zwei bis drei Prozent auch auf Verwaltungsebene ineffizient. Anstatt die wenigen Selbstzahler:innen ausfindig zu machen, sollten Zeit und Geld sinnstiftender eingesetzt werden. Ab dem Tag des Einzugs sollten die Kosten für ausnahmslos alle Bewohner:innen vom Land übernommen werden. In einem nachgelagerten, vereinfachten Verfahren wären dann nur mehr die Einkommen und die daraus resultierenden Eigenanteile zu ermitteln. Das würde sowohl bei den Bewohner:innen als auch bei den Trägern der Einrichtungen zu einer nachhaltigen Entlastung führen. Dieses Modell setzt natürlich umso mehr die Zahlung kostendeckender Tarife voraus. Diese Maßnahme würde zu einer wesentlichen Verfahrenserleichterung beitragen. 

Karrieremodell der Stadt ausrollen

Die Stadt bietet bereits seit mehreren Jahren die vollfinanzierte Ausbildung von Pflegekräften bei vollem Lohnausgleich und innerhalb der Arbeitszeit an. Dieses Karrieremodell nehmen die Mitarbeiter:innen gut an. Aktuell haben sich über 25 Kolleg:innen für dieses Modell entschieden. Weitere starten im Herbst. Diese Vorgehensweise könnte man problemlos landesweit ausrollen. Derzeit übernimmt die Stadt Salzburg zur Gänze die Personalkosten, ohne diese über die Tagsätze vom Land abgegolten zu bekommen. Ein Vorschlag der Stadt ist, die anfallenden Kosten der Ausbildungskraft (ca. 40.000 Euro pro Jahr) allen Träger-Organisationen direkt vom Land zu refundieren. So bleiben diese Fortbildungskosten nicht an Trägern oder den engagierten Pflegekräften, die sich weiterbilden wollen, hängen.

Lehrberuf „Pflege“: Stadt Salzburg ist bereit

Für Jugendliche wird es in ganz Österreich eine Pflegelehre geben. Sie wird drei bis vier Jahre dauern und mit einem Lehrabschluss als Pflegefachassistenz bzw. Pflegeassistenz enden. Ziel der städtischen Einrichtungen ist, bis zu fünf „Pflege-Lehrlinge“ aufzunehmen. In der Stadt laufen dazu die Abstimmungsgespräche mit dem Personalamt und der Wirtschaftskammer. Die notwendigen Verordnungen dafür sind mit September in Kraft getreten. Im Dezember wurde darüber informiert, dass der für den Start notwendige Sachverständige zur Genehmigung des Lehrbetriebs durch das Land bereits nominiert wurde. Eine Information seitens des Landes gab es dazu nicht. Die Stadt hat sich daraufhin nochmals an die Wirtschaftskammer gewandt, ein entsprechender Antrag wurde gestellt. Nach einer ersten Rückmeldung stellte sich ein enormer verwaltungstechnischer Aufwand heraus, um die Genehmigung zu erhalten.

Arbeitserleichterung für mobile Dienste

Mobile Dienste sind ein wichtiges Standbein in der Pflege und dürfen nicht immer das Schlusslicht aller Überlegungen sein. Ihre Arbeit und die der "Teilstationären" wird oft vergessen. Auch hier braucht es Formen der Entbürokratisierung und smarte Digitalisierungs-Lösungen. Es ist laut Expert:innen nicht sinnvoll, dass nur ausgebildete Pflegekräfte eine Heilsalbe auftragen dürfen.

Mehr Lebensqualität für Bewohner: innen von Seniorenwohnhäusern

Bislang finden Aufsichtsbesuche durch das Land in Form von Begehungen und Überprüfungen nach einem Katalog statt. Eine bloße Begutachtung des aktuellen Zustandes erachtet die Stadt als Trägerin jedoch nicht für ausreichend. Stadträtin Brandner fordert daher die Schaffung einer „Innovationsplattform Pflegequalität“, welche sich laufend mit Verbesserungsmöglichkeiten, Best-Practice-Beispielen und einer Steigerung der Lebensqualität für Bewohner:innen in Seniorenwohnhäusern unter Einbindung aller Betroffenen (Bewohner, Angehörige, Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen) beschäftigt. Die Stadt geht hierbei bereits mit dem Projekt „Sind wir ,Sein wie ich bin´?“ einen weiteren Schritt, um für Bewohner: innen der städtischen Seniorenwohnhäuser eine bestmögliche Qualität zu gewährleisten. Unter diesem Titel verbirgt sich ein Programm des „Job-Shadowings“, um persönliches Feedback zur eigenen Arbeit durch die externe Begleitung von Expert:innen zu bekommen. 

Aufnahme in Seniorenwohnhaus: Reihung erfolgt nach objektiven Kriterien

Mit Stand 6. Februar 2024 warten in der Stadt 219 Personen auf einen Betreuungsplatz. Die Reihung erfolgt – nach einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss von 2021 – nach objektiven Kriterien (Amtsbericht mit der Nummer 03/04/10907/2021/006 Amtsbericht – Zuweisung Seniorenwohnhäuser Neu Teil II). Auch hier erscheint den Verantwortlichen der Stadt sinnvoll, dass es neue gesetzliche Rahmen und damit eine landesweite Lösung für etwaige Übernahmen im Einzelfall gibt. So hat die Stadt mit der Gemeinde Grödig eine privatrechtliche Einzelvereinbarung, die solche Übernahmen – auch finanziell – regelt. Auf dieser Basis könnte man das Gesetz abändern, um flexibler zu werden. Hier ist der Landesgesetzgeber am Zug.
„Wir wollen möglichst allen Menschen ein würdevolles Altern ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass der individuelle Pflegebedarf und die Zahl der zu versorgenden Personen rasant steigt, braucht es mehr Taten von Bund und Land. Mit unseren Vorschlägen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Lösung der akuten Situation im Bereich der Pflege und Betreuung. Wir als Stadt können das aber nicht allein stemmen!“, so Stadträtin Brandner und ihr Team.

Die Situation in der Stadt – Pflege braucht auch Daten:

  • Aktuell stehen in den fünf städtischen Seniorenwohnhäusern 627 Plätze zur Verfügung. Diese Plätze teilen sich wie folgt auf: Hellbrunn 171, Itzling 113, Liefering 107, Nonntal 96, Taxham 140. Mit Stand 6. Februar 2024 sind davon 571 belegt. Bei weiteren 15 läuft gerade der Zuweisungs-/Aufnahmeprozess (knapp 90 Prozent).
  • Personal: Der MA 3/04 – Senioreneinrichtungen sind gesamt 575 Vollzeit-Äquivalente (VZÄ) zugeordnet. Davon allein im Bereich der Pflege über alle Berufsgruppen 261 VZÄ. Mit Stand Ende Jänner 24 sind 230 VZÄ besetzt.
  • Diese Anzahl der Mitarbeiter:innen ist seit Jänner 2023 etwas steigend (Jänner 2023: 352 Köpfe bzw. ca. 222 VZÄ, August 2023: 358 Köpfe bzw. 222 VZÄ). Dies ergibt sich einerseits auf der „Negativ-Seite“ aufgrund von Pensionierungen/Karenzen/Wechsel und andererseits auf der „Positiv-Seite“ aufgrund des „Karrieremodells“.
  • Im Herbst 2024 werden noch weitere Kolleg:innen in die FSB-A Ausbildung und acht Kolleg:innen in die Aufschulung vom PA zum DGKP am BFI aufgenommen.
  • Trotz unveränderter Personalsituation konnte im selben Zeitraum die Anzahl von betreuten Bewohner:innen von 526 (Jänner 23) auf 571 (+45) erhöht werden.
  • Derzeit erreichen die Stadt monatlich etwa sechs bis zehn Bewerbungen im Pflegebereich – ein Teil davon ist aber aufgrund fehlender Voraussetzungen (Berufsausbildungen, Nostrifikation bzw. fehlende Möglichkeit zur Nostrifikation –  Ausbildung nicht vergleichbar...) nicht sofort einsetzbar. Bewerber:innen, die die Voraussetzungen erfüllen, stellt die Stadt auch zeitnah ein. Derzeit ist von Erleichterungen am Arbeitsmarkt noch wenig zu spüren.

 

Christine Schrattenecker / Jochen Höfferer