Scheiterte die Entnazifizierung in Salzburg?
Gut gefüllt war die TriBühne Lehen am Donnerstagabend, 15. Oktober 2015, beim Auftakt der diesjährigen NS-Vortragsreihe der Stadt Salzburg. Oskar Dohle, Leiter des Salzburger Landesarchivs, und Thomas Weidenholzer vom Haus der Stadtgeschichte referierten über Rahmenbedingungen der Entnazifizierung sowie den Umgang damit in der Stadtverwaltung.
Dohle strich hervor, dass „letztlich alle Bemühung einer lückenlosen Registrierung an der Schwerfälligkeit des politisch-administrativen Apparats und an der großen Zahl zu ‚registrierender‘ Personen scheiterten“. Weder Österreichern noch Amerikanern sei es gelungen, eine praktikable Vorgangsweise zu finden. Fragebögen seien zu kompliziert bzw. extrem umfangreich gewesen. Die Zusammenarbeit habe nicht geklappt. Letztlich sei das Gros der „Ehemaligen“ nach 1947 mit Amnestiegesetzen entlastet worden. Dohle betonte, es sei grundsätzlich zu hinterfragen, ob Gesetze und Zwangsmaßnahmen aller Art – von Sühnezahlungen bis zum Freiheitsentzug – geeignet seien, politische Einstellungen zu ändern.
Thomas Weidenholzer erläuterte, dass rund ein Viertel aller Bediensteten der Stadtverwaltung auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung wegen Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen wurde. Darunter befanden sich 80 Prozent aller Akademiker. Doch dieser Aderlass an Fachpersonal sei schon bald durch die Wiederaufnahme „Ehemaliger“, auch auf Führungspositionen, wieder geschlossen worden.
Im Sommer 1945 habe sich der spätere sozialdemokratische Bürgermeister Anton Neumayr noch verbürgt, „dass unser schönes Heimatland Salzburg von der braunen Pest gründlich geheilt werden wird.“ In seiner Antrittsrede 1946 sagte er dann: „Ruhe und Frieden“ solle „unter die Bevölkerung kommen“ und „Nazisäuberung und Entnazifizierung muss endlich beendet werden“.
Der Gemeinderat diskutierte schon bald über die Wiedereinstellung des NS-Kraftfahrer-Korps Führers Bruno Schmid. Obwohl einige Gemeinderäte „eine besondere Überprüfung“ bei Akademikern verlangten, wurde Schmid nahezu problemlos durchgewunken. Er wurde 1963 Magistratsdirektor. Bürgermeister Neumayr beschrieb ihn als „pflichteifrigen“ Beamten.
Weidenholzer führte an, dass ausgerechnet dem Leiter der NS-Registrierungsstelle im Magistrat, Verwaltungsjurist Walter Hingsamer, 1948 vorgeworfen wurde, seine „Illegalität“ verschwiegen zu haben. Der frühere NS-Bürgermeister Franz Lorenz sei 1952 vom Bundespräsidenten begnadigt worden. Er wurde Leiter des Wohnungsamtes und drei Jahre später Abteilungsleiter der Bezirksverwaltungsbehörde.
1955 sei nicht ganz ein Drittel aller leitenden Positionen in der Stadtverwaltung an „Ehemalige“ vergeben gewesen, so Weidenholzer. Ein Vehikel dafür sei der Bund sozialistischer Akademiker (BSA) gewesen. 1958 hatten von 23 BSA-Mitgliedern im Magistrat sieben eine einschlägige Vorgeschichte. Auch habe es „eine Achse der Zusammenarbeit“ zwischen dem Verband der Unabhängigen (VdU), der die „Ehemaligen“ organisierte, und der Sozialdemokratie gegeben. Verbindende Klammer dabei sei der Antiklerikalismus gewesen. Aber auch konservative Spitzenfunktionäre wie Landtagspräsident Franz Hell hätten früheren Nazis, konkret Kreisleiter Georg Burggassner, „Anständigkeit und Aufrichtigkeit“ bescheinigt.
Für Weidenholzer gab es „aufgrund des großen Instabilitätsfaktors“ keine Alternative zur Integrierung „Ehemaliger“ in den Dienst der Stadt Salzburg. Fraglich sei, ob damit auch eine Resozialisierung und eine „Entnazifizierung der Köpfe“ gelang.
Ende der 1950-er Jahre verschwand das Thema komplett aus der öffentlichen Debatte. „Was blieb, war ein Tabu“, so Weidenholzer.
Karl Schupfer