„Westachse“ gegen den Personalmangel in der Elementarpädagogik

09.06.2022
Westachse in der Kinderbetreuung:
Elisabeth Mayr (Stadträtin für Bildung und Kinderbetreuung Stadt Innsbruck) & Vizebürgermeister Bernhard Auinger braucht Es braucht ein gemeinsames Vorgehen der Städte in Sachen Personalmangel in der Elementarpädagogik. (Foto: Wild & Team)

Auinger: „Weisen gemeinsam mit Innsbruck auf die Dringlichkeit beim Bund hin!“
Die Situation in den Kindergärten und Kleinkindgruppen hat sich österreichweit in den letzten zwei Jahren verschärft. Für öffentliche und private Träger von Kinderbildungs- und –betreuungs-Einrichtungen ist es mittlerweile enorm schwierig, ausreichend und qualifiziertes Personal zu finden. Aus diesem Grund haben sich die für Kinderbildung- und -betreuung zuständigen Politiker:innen der beiden Landes-hauptstädte Innsbruck und Salzburg auf ein gemeinsames Forderungspaket an die Bundesregierung verständigt, um auf die dramatische Situation hinzuweisen und dem zuständigen Bundesminister Lösungsvorschläge zu übermitteln. „Wir sitzen alle im selben Boot. Daher braucht es auch ein gemeinsames Vorgehen unserer Städte, weil unsere Hilferufe und Vorschläge in Richtung Bund bislang ungehört blieben“, erklären die Innsbrucker Stadträtin Mag.a Elisabeth Mayr und der Salzburger Vizebürgermeister Bernhard Auinger.

Bekannte Problematik – Neue Lösungsansätze
In Salzburg hat Auinger mehrfach auf die Problematik hingewiesen: „Die Lage spitzt sich Woche für Woche weiter zu. Ähnlich wie in der Pflege zeichnet sich auch in der Kinderbildung und -betreuung eine dramatische Entwicklung ab. Es ist daher höchste Zeit für einen überparteilichen Schulterschluss zwischen Bund, Land und Gemeinden. Dieser Thematik muss endlich die Priorität zukommen, die sie verdient. Im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die flexible Kinderbetreuung eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Dafür braucht es aber eine massive Ausbildungsoffensive und genug finanzielle Mittel.“

Das Problem ist auch in Innsbruck nicht neu. Der Bedarf an Betreuung steigt - doch das dafür nötige Personal in der Elementarpädagogik ist österreichweit nicht vorhanden. Der Grund: Die Ausbildung wurde in der Vergangenheit nicht parallel zum Betreuungsangebot ausgebaut. Die Stadt Innsbruck als größte öffentliche Trägerin von Kindergärten, Horten und Kinderkrippen in Tirol hat schon mehrmals auf diese Herausforderung aufmerksam gemacht.

Mitarbeiter:innen entlasten – Regelungen vereinheitlichen
„Die Mitarbeiter:innen in den Kinderbildungseinrichtungen leiden ebenfalls unter der aktuellen Personalsituation!“, erklärt die Innsbrucker Stadträtin Mayr. Und fügt hinzu: „Sie haben speziell in den letzten zwei Jahren viel kompensieren müssen und dabei ein riesiges Engagement und eine große Flexibilität bewiesen. Der berufliche Druck und die damit verbundene Belastung haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Es ist daher enorm wichtig, die Mitarbeiter:innen durch bessere Arbeitsbedingungen zu entlasten. Dafür braucht es bundesweite einheitliche Regelungen hinsichtlich Bezahlung, Supervision, Weiterbildungen, Personalschlüssel und Gruppengröße. Für die beiden letztgenannten Aspekte ist das Tiroler Modell eine Mindestvorgabe für österreichweite Regelungen. “

Wie dramatisch die Situation mittlerweile ist, zeigt sich anhand der ersten Schließungen von Kindergarten- und Kleinkindgruppen privater und öffentlicher Träger in Salzburg. Der vierte Lockdown und die Omikron-Welle haben diese Situation noch verschärft.

Kompetenzdschungel entwirren
Die Ressortverantwortlichen weisen auf die Kompetenzwirren des Föderalismus hin. Sie haben bislang ein einheitliches Vorgehen gegen den Personalmangel erschwert. Auinger und Mayr erwarten sich in Zukunft mehr Unterstützung vom Bund. „Die Kompetenzen und Zuständigkeiten beim komplexen Thema Elementarpädagogik verteilen sich auf Gemeinden, Land und Bund. Es braucht jetzt aber keine gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen den Körperschaften, sondern dringend gemeinsame Anstrengungen dem Personalmangel entgegenzuwirken. Das Ziel müssen verbesserte Rahmenbedingungen sein, um die Betreuungsqualität zu sichern und die Ausbildung der Pädagog:innen auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Nur so gewährleisten wir, dass langfristig ausreichend qualifizierte Fachkräfte ausgebildet werden und es den notwendigen Ausbau an Angeboten überhaupt geben kann“, so Auinger. Und weiter: „Ein mit der Arbeiterkammer und der Erzdiözese erarbeitetes Maßnahmenpaket wurde dem Land, dem früheren Bildungsminister Heinz Faßmann sowie dem derzeitigen Bildungsminister Martin Polaschek übermittelt. Passiert ist aber leider bislang sehr wenig. Deshalb braucht es rasch einen weiteren Dialog auf Augenhöhe fernab politischer Ideologien.“

Mit gemeinsamen Forderungspaket zu mehr Personal
Das vielschichtige Problem kann laut den zuständigen Politiker:innen der zwei Landeshauptstädte nur gemeinsam mit dem Bund gelöst werden. Um die Dringlichkeit zu unterstreichen, wurde ein gemeinsames Forderungspaket verfasst. „Nur wenn es umgehend zu einer umfassenden gesetzlichen Reform der Elementarpädagogik auf Bundesebene kommt, die gemeinsam mit Gemeinden, Ländern und sämtlichen Sozialpartnern erarbeitet wird, kann man den Personalmangel langfristig beheben. Dafür braucht es ausreichend finanzielle Mittel, eine Aufwertung und größere Wertschätzung für die Berufssparte, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Modernisierung sowie einen massiven Ausbau der Ausbildung“, sind sich Auinger und Mayr einig.

Das Forderungspaket sieht folgende Punkte vor:

  • Zugang zu Ausbildungen ohne Matura als Grundvoraussetzung
    Für alle Ausbildungsvarianten im Bereich Elementarpädagogik, die die Arbeit in einem Kindergarten ermöglichen, ist die Matura eine Grundvoraussetzung. Das ist vor allem für Umsteiger:innen oft eine gewaltige Hürde – eine zeitliche wie finanzielle. Ergänzend zu den bestehenden Ausbildungsformen braucht es daher für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Praxiserfahrung in der Elementarpädagogik ohne Matura einen erleichterten Zugang zur Elementarpädagog:innen-Ausbildung.
    Das betrifft das Bundesbildungsanstalt für Elementarpädagogik (BAfEP)-Kolleg, aber auch zukünftige Lehrgangsangebote, die nach einheitlichen Voraussetzungen Fachkräfte ausbilden können, die zu einer Gruppenführung befähigen. Ziel muss sein, die wichtige Gruppe der Kolleg-Absolvent:innen zu vergrößern, da sich diese Gruppe bewusst für die Ausbildung entscheidet und auch länger im Beruf bleibt.
    Darüber hinaus sollte man die Möglichkeit „Elementarpädagogik als Lehre“ prüfen und diskutieren. Hier hätte man die Möglichkeit, junge Menschen durch viel Praxiszeit in den Einrichtungen zu verankern.
  • Zusätzliche Ausbildungsförderungen/Stipendien für Berufsumsteiger
    Ausbildungsförderungen, die es bereits bis 2014 gab, um Quereinsteiger:innen, Personen im zweiten Bildungsweg und Alleinerziehenden eine fachgerechte Ausbildung zu ermöglichen, wären österreichweit ein wichtiger Schritt. Durch die finanzielle Unterstützung werden berufsbegleitende Ausbildungen/ Schulungen neben dem Arbeiten in einer Kinderbetreuungs-Einrichtung ermöglicht. Davon profitieren sowohl die Einrichtung als auch die Auszubildenden.
  • Mehr Männer für den Beruf begeistern
    Der Anteil an Männern im Beruf ist leider nach wie vor mit 2 Prozent in Österreich sehr gering. In der Stadt Salzburg ist der Anteil in den vergangenen Jahren zwar auf 7 Prozent gestiegen, das grundsätzliche Bedürfnis nach mehr Männern im Beruf ist aber unverändert. Zudem wäre eine größere Balance der Geschlechter bei den Betreuer:innen pädagogisch sehr sinnvoll. Der Beruf muss für sie attraktiver werden. Gerade über den zweiten Bildungsweg besteht die Chance, das pädagogische Personal noch vielseitiger zu besetzen, in dem man Expertisen wie zum Beispiel handwerkliche Kenntnisse aus früheren Berufen auch in den Kinderbetreuungs-Einrichtungen nützt. Das betrifft und ist gleichermaßen im Sinne von Gemeinden, Land und Bund. Auch muss das Bildungsministerium die Lehrpläne für die Bundesbildungsanstalt für Elementarpädagogik diverser und damit auch für die Ausbildung (junger) Männer attraktiver gestalten.
  • Zugang zum Bachelorstudium Elementarpädagogik öffnen
    Es gibt an den Pädagogischen Hochschulen das Bachelorstudium Elementarpädagogik. Zu ihm sind allerdings nur Absolvent:innen der BAfEP zugelassen. Dieses Studium sollte man für alle Maturant:innen - vorbehaltlich zusätzlicher Pflichtpraktika - öffnen, um noch mehr Interessent:innen anzusprechen. Hier ist konkret das Bildungsministerium gefordert.
  • Ausbau der Kapazitäten an der BAfEP
    Das Interesse an der Ausbildung im BAfEP-Kolleg ist groß. Die Kapazitäten für mehr Kollegklassen sind aber begrenzt. Es braucht hier dringend einen bundesweiten Ausbau, um weitere Kapazitäten zu schaffen.
  • Bundesweite Image- und Informations-Kampagne für den Beruf
    Es braucht generell eine stärkere Bewerbung, Aufwertung und Sichtbar-machung des Berufs auf allen Ebenen. Grundlage ist eine bundesweite Image- und Informations-Kampagne, die alle Ausbildungsvarianten, Kosten und Berufsmöglichkeiten aufzeigt.

Höfferer Jochen MA