Gemeinsames Land-Stadt-Projekt: Frausein mit Behinderung
„WIR NEHMEN UNSER LEBEN IN DIE HAND!“
NEUE ANGEBOTE FÜR FRAUEN MIT BEHINDERUNG
Menschen mit Behinderung müssen immer wieder darum kämpfen, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können. Je nach Art und Weise der Beeinträchtigung, vor allem aber auch abhängig vom Geschlecht, ergeben sich ganz unterschiedliche Problemlagen. Frauen haben es vielfach schwerer ihren Weg eines eigenständigen Lebens zu finden. Traditionelle Vorstellungen schreiben den Frauen prinzipiell weniger Eigenständigkeit und mehr Hilfsbedürftigkeit zu. Diese überkommenen Haltungen wirken gerade bei Frauen mit Behinderung hartnäckig und engen ihre freien Entscheidungsmöglichkeiten erheblich ein.
In einem Projekt der beiden Frauenbüros von Land und Stadt Salzburg, dem Referat für Behindertenangelegenheiten des Landes und der Behindertenbeauftragen der Stadt Salzburg standen daher die konkreten Lebenssituationen von Frauen mit Behinderungen im Mittelpunkt. Insgesamt beteiligten sich seit Frühjahr 2003 50 Frauen mit körperlicher, geistiger und psychischer Behinderungen an einem Diskussionsprozess, aus dem drei Themenschwerpunkte und hierzu konkrete Maßnahmen hervor gegangen sind:
1. Arbeitsmarkt für Frauen mit Behinderung
2. Gewalt an Frauen mit Behinderung
3. Mutterschaft und Behinderung
Arbeitsmarkt für Frauen mit Behinderung
Die Integration von Frauen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist keine Selbstverständlichkeit. Von den 1.323 Salzburgerinnen mit einem begünstigten Status, d.h. sie haben eine mehr als 50% Behinderung, gehen 914 Frauen einer beruflichen Tätigkeit nach. Gut 30%, das sind 409 Frauen, sind nicht erwerbstätig. Doch viele von ihnen wünschen sich einen Einstieg ins Berufsleben. Der Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, dass Frauen mit Behinderung noch stärker traditionelle berufliche Rollen zugedacht bekommen, als dies für Frauen ohnehin gilt.
Mädchen und Frauen werden oft in sehr traditionellen und niedrig-qualifizierten Bereichen (z.B. Haushalts- und Wäschereibetrieb) eingesetzt. Hinzu kommt, dass vor allem Mädchen mit Behinderung häufig mit einer stärkeren „Überbehütung“ und Eingrenzung auf den familiären Rahmen konfrontiert sind, während Burschen stärker an den Prinzipien der Integration und Selbständigkeit ausgerichtet sind.
Zwei wesentliche „Hebel“ stehen dem Land zur Förderung von Frauen von Behinderung zur Verfügung: „Einerseits gibt es die Ausbildungsschiene mit der neuen Möglichkeit der Teilqualifikation in Einrichtungen wie St. Gilgen, Oberrain oder dem Landesinstitut für Hörbehinderte. Hier wird kontinuierlich an dem Ziel gearbeitet junge Menschen mit Beeinträchtigung so nah wie möglich an den 1. Arbeitsmarkt heranzuführen. Der zweiter Hebel ist die Unterstützung für diejenige, sich mit fertiger Ausbildung am Arbeitsmarkt etablieren wollen. Hier geht es vor allem darum, maßgeschneiderte Programme zu entwickeln, die es Menschen mit Beeinträchtigung ermöglichen in den Betrieben Fuß zu fassen“ konkretisiert Soziallandesrat Erwin Buchinger die Förderpolitik des Landes. „Besonders wichtig ist dabei, den Betrieben mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, damit diese sich an die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen anpassen und so deren oft beeindruckendes Leistungspotential nutzen können.“
„In der gegebenen Arbeitsmarktsituation sehe ich Möglichkeiten für Frauen mit Behinderungen in Beratungsbereichen, in denen Frausein mit Behinderung eine zusätzliche Kompetenz darstellt: Erwachsenenbildung, Barrierefreiheit, barrierefreies Internet, Beratung bei Ausbildungs- und Berufswegen, Psychotherapie/ Lebensberatung (etwa in Gebärdensprache). Aus- bzw. Weiterbildung auch während der Familienzeiten sind dabei besonders zu unterstützen“ spricht Gabriele Pöhacker, Behindertenbeauftragte der Erzdiözese Salzburg aus Erfahrung. Als Spastikerin hat sie eine wechselvolle berufliche Karriere durchlebt.
Mutterschaft und Behinderung
Frauen mit Behinderungen wird oft ihr Frau-Sein abgesprochen und damit auch ihre Sexualität. Und dass die Frauen dann auch noch Mütter sind, können sich viele nicht vorstellen. „Wir müssen oft doppelt und dreifach beweisen, dass wir unsere Sache gut machen, dass wir gut für unsere Kinder sorgen“ berichtet Sonja Stadler, Lebensberaterin, Spastikerin und Mutter zweier Töchter (5 Jahre, 2 Monate). Sonja Stadler konnte in der Schwangerschaft nicht wie andere Frauen auf die bestehenden Angebote der Geburtsvorbereitung zurückgreifen, sondern musste sich die für eine körperlich behinderte Frau notwendigen Unterstützungen mühsam zusammen suchen. „Sonja Stadler ist ein beeindruckendes Beispiel einer liebevollen, verantwortungsbewussten Mutter mit Behinderung. Ihre Erfahrungen sind von großem Wert und sollen auch anderen betroffenen Frauen zur Verfügung stehen. Daher gibt es künftig im Rahmen der Geburtsvorbereitung in der Mutter-/Elternberatung ein spezielles personenangepasstes Angebot in Form von Einzelberatung“, stellt Bürgermeister Heinz Schaden fest. Um danach das Leben mit einem neugeborenen Kind gut einzurichten, sind die Mutter-/Elternberatungszweigstellen in den Stadtteilen eine gerne angenommene Unterstützung. „Noch sind nicht alle Mutter- und Elternberatungsstellen in der Stadt barrierefrei zugänglich. Doch in der Innenstadt und in Lehen gibt es zwei Beratungsstellen, die auch für körperlich beeinträchtigte Mütter und Väter gut erreichbar sind“, so Schaden weiter.
(Sexuelle) Gewalt an Frauen mit Behinderung
Mädchen und Frauen mit Behinderung sind – entgegen häufiger Annahmen – etwa doppelt so oft von sexueller Gewalt betroffen wie nicht behinderte Frauen. In österreichischen Einrichtungen der Behindertenhilfe wurden Mitte der 90er Jahre 130 Frauen zwischen 17 und 69 Jahren befragt. 64 Prozent der größtenteils geistig behinderten Frauen berichteten von sexueller Gewalt, die sie persönlich erlitten haben. Gerade diese Gruppe ist in besonderer Weise gefährdet, Opfer zu werden, da sie praktisch keinen angemessenen Rahmen haben, Sexualität selbst bestimmt zu leben und erleben.
Wie in allen Bereichen des Lebens brauchen auch diejenigen Menschen, die sich mit Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigen, dafür auch eine spezielle Ausbildung. Gerade in einem so heiklen Bereich sei es besonders wichtig, geschultes Personal zu haben, das besonders bei geistig beeinträchtigten Menschen deren Aussagen und Signale richtig zu deuten weiß. „Das Land Salzburg kann in der Behindertenhilfe auf eine über 100jährige Betreuungstradition zurück blicken – deshalb werden wir auch hier bei einem Thema, das bisher oft leider Tabu war, das ganze Fachwissen unserer Einrichtungen einbringen und als Partner für Initiativen agieren“ so Buchinger.
Doch auch mögliche Übergriffe im öffentlichen Raum stellen für Frauen mit Behinderungen eine zusätzliche Bedrohung dar. Die Möglichkeiten der Flucht sind vielfach eingeschränkt und das Selbstbewusstsein ist oftmals durch die ständige Notwendigkeit der Hilfe von außen angeknackst. Daher werden nunmehr in Zusammenarbeit mit dem Frauengesundheitszentrum ISIS spezielle Selbstverteidigungstrainings angeboten. Die ersten Erfahrungen mit einem Pilotprojekt, an dem 12 Frauen und Mädchen mit Behinderung teilgenommen haben zeigt die Notwendigkeit.
„Die Stärkung des Selbstwertes und das Ausloten der eigenen Grenzen ist vor allem für Mädchen und Frauen mit Behinderungen wichtig. Gerade weil sie auf Unterstützung und Hilfe Anderer angewiesen sind, lassen sie sich selber oft klein machen“, meint die Behindertenbeauftragte der Universität Salzburg Christine Steger, die vor einigen Jahren aufgrund eines Verkehrsunfalls eine Beinamputation hatte.
Die Selbstverteidigungskurse für Frauen und Mädchen mit Behinderungen werden aufgrund des Erfolgs und der regen Nachfrage nun zu einem fixen, kontinuierlichen Angebot. Der nächste Kurs findet am 14. und 15. Oktober statt (ISIS, Telefon 0662/44 22 55).
Darüber hinaus widmet sich der Frauennotruf Salzburg, die Spezialeinrichtung bei sexueller Gewalt an Frauen, in Hinkunft verstärkt Frauen mit Beeinträchtigung. Die Beratungen werden mangels barrierefreier Erreichbarkeit des Frauennotrufs im Frauenbüro der Stadt Salzburg (Schloss Mirabell) stattfinden. Frauen mit Behinderung, die Gewalterfahrungen gemacht haben und diese oft lange Zeit mit sich herumtragen ohne sich je anzuvertrauen, finden in den Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs kompetente Beraterinnen. Telefon 0662-881100.
Sensibilisierung innerhalb der „Öffentlichen Verwaltung“ – „Die wahren Barrieren sind im Kopf“
„Auch in den eigenen Häusern steht noch nicht alles zum Besten. Immer wieder berichten Frauen und Männer mit Behinderungen von negativen Erfahrungen bei Behörden-Kontakten. Dabei ist es nicht so sehr die Ignoranz, sondern vielmehr die Unsicherheit der Behörden-MitarbeiterInnen. Die Information über die speziellen Bedürfnisse von KundInnen mit Behinderung steht daher im Mittelpunkt einer internen Fortbildung für Verwaltungsbedienstete“, berichten Buchinger und Schaden. Die Salzburger Verwaltungsakademie des Landes Salzburg bietet am 20. April 2005 einen Intensiv-Workshop für MitarbeiterInnen der Landes-, Gemeinde- und Stadtbehörden an: „Die wahren Barrieren sind im Kopf: KundInnen mit Behinderung – wie gehe ich damit um?“
Nähere Infos unter: Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit des Landes Salzburg, Mag. Martina Berthold Telefon 0662/8042-4044, bff@salzburg.gv.at oder Frauenbüro der Stadt Salzburg, Mag. Dagmar Stranzinger Telefon 0662/8072-2045, frauenbuero@stadt-salzburg.at
Niedl, Stefanie (19365)