Hanisch über die „Meistererzählungen“ nach der NS-Zeit

06.11.2015

Vor gut gefülltem Saal analysierte der Doyen der Nationalsozialismus-Forschung in Salzburg, Universitäts-Professor Ernst Hanisch, am Donnerstagabend, 5. November 2015, in der TriBühne Lehen den Diskurs über den Nationalsozialismus. Dieser sei durch zwei „Meistererzählungen“ charakterisiert: der Rede von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus und jener von der Schuld Österreichs am Nationalsozialismus. Beide seien nicht falsch, führten aber jede für sich genommen zu einem falschen Bild. Erst ihre Zusammenführung bringe ein stimmiges Ergebnis, so Hanisch.

In den 1950er Jahren habe dagegen das große Schweigen über den Nationalsozialismus geherrscht. Alle Energien der Gesellschaft sollten in den „Wiederaufbau“ und (später) in den „Neuaufbau“ investiert werden. Die NS-Vergangenheit sollte vergessen, verdeckt, versiegelt werden.

Hanisch ging es nicht um moralische Verurteilungen. Er wollte die Mentalitäten der 1950-er Jahre offen legen. Er fragte, wie das Schweigen und Vergessen zu erklären sei. Den amerikanischen Historiker Tony Judt zitierend, meinte Hanisch, das Schweigen sei Voraussetzung der Zukunft Europas gewesen, das Verdrängen anthropologische Konstante.

Es habe in Österreich keine Racheakte gegeben, wenn man von wenigen Fällen im KZ Mauthausen absehe. Österreich habe sich für den Weg der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen entschieden (durch eigens eingerichtete Volksgerichte). Die Traumatisierung und Desorientierung der Bevölkerung sei abgeblockt worden und schließlich habe sich insbesondere die katholische Kirche für eine Rehabilitierung der NS-Parteigänger eingesetzt.

„Die politische Eliten trieb die Angst um, dass ein Diskurs über den Nationalsozialismus, die erhoffte Einheit der Bevölkerung, sprengen könnte“, so der Universitäts-Professor. Doch aus der Hintertür, tauchte der Nationalsozialismus unerwartet wieder auf: Paradoxerweise sei es der Verband der Unabhängigen VdU (später FPÖ) gewesen, der das Thema Nationalsozialismus „aufmachte“. Jedoch nicht, um über die NS-Verbrechen zu reden, sondern um die ehemaligen Nationalsozialisten zu rehabilitieren.

Doyen der NS-Forschung:
Doyen der NS-Forschung:

Karl Schupfer